Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
Vom Netzwerk:
geht mir gut!«
    Ende der Woche verlasse ich das Krankenhaus. Ich muss aber noch das Bett hüten, bis es meinem Bein und meinen Rippen wieder besser geht. Mein gebrochenes Handgelenk braucht länger zum Heilen und tut fast ständig weh. Als ich das erste Mal in den Spiegel blicke, sehe ich zu meinem Schrecken zwei kleine rote Narben in meinem Gesicht, eine an der linken Schläfe, die andere zwei Zentimeter unter dem rechten Auge. Ich bin zuerst furchtbar unglücklich, bis Lekha mir taktvoll erklärt, dass die Narben ein kleiner Preis dafür sind, dass ich noch lebe.
    Neil und Alisha bestehen darauf, dass Sean während seines Aufenthalts in Bangalore bei uns wohnt. Sie mögen ihn. Er ist umgänglich und unkompliziert. Bei ihm muss man sich nicht verstellen, es gibt keine Schatten oder Gespenster. Außerdem ist er höflich und hilfsbereit, ein angenehmer Gast. Er bekommt Sashas Zimmer und Sasha zieht für die Dauer seines Besuchs bei mir ein. Ich glaube, allen war klar, dass ich einen Tobsuchtsanfall bekommen hätte, wenn Sean nicht hätte bei uns bleiben dürfen. Je mehr Tage vergehen, desto mehr fürchte ich den Moment seiner Abreise.
    »Wie sehen deine Pläne aus?«, frage ich ihn eines Nachmittags. Er stützt mich, während ich durch die Gegend humple. »Ich meine, wenn du wieder zu Hause bist. Du bist doch inzwischen mit der Schule fertig.«
    Er nickt. »Den Sommer werde ich wahrscheinlich in London verbringen. Ich bin letztes Jahr oft hin und her gefahren, meist wegen des Theaters. Vielleicht ziehe ich für ein paar Monate ganz hin. Ich arbeite auch noch für die Meisterei, überlege aber, ob ich im September aufhöre, wenn ich mit dem Studium anfange. Erik denkt, dass sie mich ohne großen Aufstand gehen lassen. Die Verschwiegenheitserklärung habe ich schon unterschrieben.«
    »Du darfst also mit keinem Außenstehenden über die Meisterei reden?«
    Sean nickt und stützt mich mit einer Hand. »Kein Wort. Die Meister hüten ihre Geheimnisse streng und sorgen mit eiserner Hand für die Einhaltung ihrer Gesetze. In letzter Zeit haben sie in ihrer Sorgfalt allerdings etwas nachgelassen. Das weiß ich von Erik. Er sagte, Adrian hätte im vergangenen Jahr zweimal bei der Schaffung von Echos versagt und sich nicht einmal groß darüber geärgert.«
    »Leben und Tod sind offenbar keine Herausforderung mehr für ihn«, bemerke ich trocken. »Was könnte er denn noch erreichen wollen?«
    Sean zuckt mit den Schultern. »Ewiges Leben? Will das nicht jeder?«
    »Aber du nicht.«
    »Was nützt einem ewiges Leben, wenn die, die man liebt, alle tot sind?«
    »Hm«, brumme ich. »Hast du denn überhaupt keinen Sinn für Romantik und Abenteuer?«
    »Nein, eigentlich nicht. Sollte ich?«
    Ich tue so, als wäre ich gekränkt, ziehe meine Hand aus seiner heraus und versuche, ohne seine Hilfe zu gehen. Doch meine Beine knicken unter mir ein und Sean fängt mich gerade noch auf, bevor ich hinfalle.
    »Das ist der Moment, in dem du mich in die Arme nehmen und mir einen Heiratsantrag machen musst«, sage ich.
    Sean lacht und hilft mir zurück zum Bett. »Davon wird dein Bein nicht kräftiger. Willst du es noch einmal versuchen?«
    Ich nicke. Doch noch während ich versuche, das Gleichgewicht zu finden, habe ich plötzlich schreckliche Angst. Angst davor, dass mit Seans Abreise auch der kurze Moment der Ruhe und alles Schöne endet, dass mit seinem Weggehen die kurze Atempause verstreicht, während der Amarras Geist schweigt und ich nicht an Jäger, Meister und Schlafbefehle denke oder an die erbarmungslos tickende Uhr.
    Aber ich sage nichts. Ich sage Sean nicht, wie sehr ich mir wünsche, dass er bleibt. Oder dass ich am liebsten mit ihm gehen würde. Zeit mit ihm verbracht zu haben, nur um ihn gleich wieder zu verlieren, wird schrecklich sein.
    Nein, ich sage nichts. Wie könnte ich? Echo und Vormund, Vormund und Echo, wir sind nicht füreinander gedacht. Es dürfte gar keine Beziehung zwischen uns geben. Was mit den Vormunden passiert, die Gesetze brechen, erfährt man nie. Soll ich vielleicht Seans Leben aufs Spiel setzen?
    Mit Seans Hilfe halte ich das Gleichgewicht. »Matthew hat dich hergebracht, nicht wahr?«, fragt er. »Was denkst du über ihn?«
    »Ich weiß nicht«, sage ich. »Ich traue ihm nicht und mag ihn nicht. Aber er ist Eriks Freund. So schlimm kann er also nicht sein. Und …« Ich zögere. »Es klingt vielleicht albern, aber er hat mich geschaffen. Das spielt für mich eine Rolle. Und ich finde, es sollte auch

Weitere Kostenlose Bücher