Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
Vom Netzwerk:
für ihn eine Rolle spielen.«
    »Das ist überhaupt nicht albern«, sagt Sean. »Du hast mehr von ihm als von sonst jemand. Mehr als von Amarra oder Neil oder Alisha.«
    Ich zucke mit den Schultern.
    »Er und Adrian kennen kein Mitgefühl und keine Liebe«, sagt Sean. »Sie sind genial, aber unbarmherzig. Zwei der gefährlichsten Menschen Englands. Erik findet das auch. Er meint aber, sie seien nicht immer so gewesen, sie hätten sich verändert. Vor allem Matthew. Er fürchtet, dass in der Meisterei etwas schiefläuft.«
    »War das nicht schon immer so?«, frage ich.
    Diese Frage kann Sean nicht beantworten. Wie auch? Keiner von uns war vor zweihundert Jahren dabei, als die Meister zum ersten Mal Leben erschaffen haben.
    Seit dem Überfall, der mich beinahe das Leben gekostet hätte, quält mich unablässig der Gedanke daran, wie schnell die Zeit vergeht. Jede Nacht liege ich fröstelnd wach und kann nicht schlafen. Mein siebzehnter Geburtstag ist schon mehrere Wochen her und ich muss ständig daran denken, wie kurz zehn Monate doch sind. Und dass ich meinem Schicksal nicht entrinnen kann, wenn ich hierbleibe.
    Aber wohin sollte ich gehen? Wenn ich fliehe, wäre mein Tod erst recht besiegelt.
    »Was ist los?«, fragt Sean mich eines frühen Morgens, nachdem Sasha zur Schule aufgebrochen ist. Wir sitzen allein in Amarras Zimmer. Die Sonne scheint trüb auf das Bett. Im Fenster sehe ich mein Spiegelbild. Es sieht blass und kränklich aus.
    Ich wende den Blick ab und klammere mich am Laken fest. »Nichts«, sage ich. Sean weiß, was der Schlafbefehl bedeutet. Ich brauche ihn nicht daran zu erinnern, dass ich nicht mehr lange zu leben habe.

2. Fehler
    W ährend ich mich erhole, habe ich zwei weitere Besucher. Lekha schaut an den meisten Tagen vorbei. Sie bringt oft einen Film mit, den sie bei dem Händler mit den billigen DVD s in der Commercial Street gekauft hat. Neil hat einen alten Fernseher mit DVD -Spieler in meinem Zimmer aufgestellt. Allerdings bekommen wir von den Filmen nicht viel mit, denn Lekha redet fast ununterbrochen. Sean staunt immer wieder über die sonderbaren Wörter, die sie verwendet. Nikhil und ich sind das schon gewöhnt und lachen darüber.
    Der andere Besucher kommt nur einmal. Es ist Ray.
    Als ich eines Abends aufwache, steht er in der Tür. Erschrocken hebe ich den Kopf und ziehe das Laken bis zum Hals hoch. Man sieht ihm an, dass er sich große Vorwürfe macht.
    »Ich habe fünf Minuten Zeit«, sagt er. »Nikhil wollte mich nicht reinlassen, aber Amarras Mutter hat es erlaubt. Sie wartet am Fuß der Treppe und holt mich, wenn meine Zeit um ist.«
    Ich starre ihn schweigend an. Er scheint nicht zu wissen, was er sagen soll.
    »Jetzt sehe ich wenigstens nicht mehr aus wie Amarra«, sage ich schließlich und zeige auf die Narben in meinem Gesicht.
    »Es tut mir leid«, sagt er. »Es tut mir so wahnsinnig leid.«
    Ich sehe ihn unverwandt an. »War’s das?«, frage ich. »Denn dann kannst du wieder gehen. Ich würde gern schlafen.«
    »Darf ich noch eins sagen?«
    »Lieber nicht.« Ich stütze mich mühsam auf meinen gesunden Arm. Es tut weh. »Du hast mich gewarnt, vielen Dank. Trotzdem wäre ich fast dabei draufgegangen …«
    »Aber das habe ich doch alles nicht gewollt!«, sagt Ray. »Wir waren Freunde. Ich habe nicht nur so getan, als wäre ich gern mit dir zusammen. Du weißt das. Ich habe Amarra in dir gesehen, aber auch dich. Ich mag dich. Ich wollte das alles nicht wegwerfen.«
    »Das hast du aber. Du sagst, du hättest meinen Tod nicht gewollt, aber wenn alles nach Plan gelaufen wäre, gäbe es mich jetzt nicht mehr. Du hättest mein Leben geopfert, um Amarra wiederzubekommen. Ich will dich nie wieder sehen. Bitte geh.«
    Ray schluckt. »Aber …«
    »Nein«, sage ich und zu meinem Entsetzen treten mir Tränen in die Augen, »ich will dich nicht mehr sehen.«
    Schweigend steht er da.
    Ich warte.
    »Wenn du deine Meinung änderst«, sagt er schließlich, »weißt du, wo du mich findest.«
    Ich antworte nicht.
    Er dreht sich um. Ist Alisha heraufgekommen, um ihm zu sagen, dass seine Zeit um ist? Nein, es ist Sean. Seine Augen sind schwarz und der Blick auf seinem Gesicht lässt mich frösteln.
    »Verschwinde«, sagt er ganz ruhig.
    Ray sieht ihn ein wenig empört an. »Wer bist du?«
    »Jemand, der niemals zulassen würde, dass Eva stirbt«, sagt Sean. »Mehr brauchst du nicht zu wissen.«
    Ray läuft rot an. »Ich unterhalte mich nur mit ihr …«
    »Geh«, sagt Sean. »Oder ich

Weitere Kostenlose Bücher