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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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nichts.«
    Ich verschränke die Finger. Ich könnte mit ihm streiten, bis ich schwarz werde, er wird seine Meinung nicht ändern. Vielleicht ist es auch unfair, ihn dazu zu drängen. Würde ich nicht auch mit ihm gehen wollen, wenn unsere Rollen vertauscht wären? Würde ich nicht auch darauf bestehen, dass er mich mitnimmt?
    »Danke«, sage ich hilflos. »Ich weiß, dass es für dich nicht leicht ist.«
    Sean sieht mich ein wenig ungläubig an. »Das war schon alles? Keine weiteren Einwände?«
    Ich schüttle den Kopf.
    Wir sehen einander lange Zeit an. Wir stehen im Begriff, eine Grenze zu überqueren. Noch sind wir in Sicherheit, aber sobald einer von uns etwas sagt, überqueren wir sie.
    »Wir werden Geld brauchen«, sagt Sean endlich und schlagartig begreife ich, dass die Entscheidung tatsächlich gefallen ist. Mir zittern die Knie.
    Ich nicke. »Ich muss nachsehen, was in diesem Schließfach liegt. Und dann …«
    Ich breche ab. Es ist leicht, sich auszumalen, dass man flieht, man stellt es sich schrecklich aufregend vor. Die Wirklichkeit wirkt dagegen nüchterner, kälter. Wenn wir fliehen, werden wir unser ganzes Leben auf der Flucht sein. Solange es uns gelingt, den Jägern nicht ins Netz zu gehen. Wir würden uns Arbeit suchen müssen und darüber erwachsen und vielleicht sogar alt werden. Wir wären ständig in Lebensgefahr. Sean könnte, wenn er wollte, vielleicht in sein altes Leben zurückkehren, aber ich nicht. Wenn ich jetzt weglaufe, werde ich immer auf der Flucht sein.
    »Tja«, sagt Sean, fast als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen. »Bist du also wirklich fest entschlossen?«
    Ich schlucke. »Ja.«
    Er sieht mich forschend an, dann nickt er. »Übrigens habe ich auch etwas Geld. Ich habe noch einiges von dem Lohn, den die Meister mir in den vergangenen Jahren gezahlt haben, und das Geld, das Dad mir bei seinem Tod hinterlassen hat. Aber wir sollten möglichst Bargeld benutzen.« Er reibt sich die Stirn, eine sorgenvolle Bewegung. »Und außerdem …«
    Es klopft an der Tür. Sean verstummt sofort und wir blicken beide schuldbewusst auf. Neil steckt den Kopf ins Zimmer.
    »Wir wollten zum Abendessen Pizza bestellen«, sagt er. »Seid ihr beide mit Peperoni einverstanden?«
    Aber in meinem Kopf ist gerade kein Platz für das Wort Pizza . Es ist zu normal, zu alltäglich und passt nicht zu dem Gefühlschaos in mir. Neil sieht ein wenig verwirrt zwischen uns hin und her.
    Sean fasst sich als Erster wieder. »Hört sich prima an, danke«, sagt er. Er klingt so vollkommen ruhig, dass ich mich nur wundern kann. »Kann ich beim Tischdecken oder so helfen?«
    »Nicht nötig, wir essen direkt aus der Schachtel.« Neil mustert mich noch einmal etwas verstört und geht.
    Sobald wir wieder allein sind, sehe ich Sean verlegen an. Er schüttelt tadelnd den Kopf. »Du musst noch an deinem Pokerface arbeiten.«
    »Ich weiß.« Das Wort Pizza schwirrt mir weiter durch den Kopf, ohne dass es einen Sinn ergibt. Es bedeutet nur eine unwillkommene Ablenkung und erinnert mich daran, dass es außerhalb dieses Zimmers ein Haus und eine ganze Welt gibt und dass dort Menschen leben, die bestimmte Erwartungen an mich haben. Will ich Nik und Sasha wirklich verlassen? Ich beiße mir auf die Unterlippe, schiebe meine Zweifel aber beiseite. »Was wolltest du sagen, als Neil geklopft hat?«
    »Ich wollte wegen der Pässe fragen«, sagt Sean. »Hast du den falschen noch, mit dem Matthew dich hergebracht hat?«
    Ich sehe in Amarras Schreibtisch nach. »Er ist hier.«
    »Den brauchst du zur Ausreise. Und ich brauche meinen. Aber die Meister können der Spur dieser Pässe folgen. Wir können sie nur kurze Zeit verwenden.«
    »Wir könnten auch zusammen hierbleiben«, sage ich. »Dann brauchen wir sie gar nicht.«
    »Du bist illegal hier«, erinnert Sean mich. Ich hätte ihn ohrfeigen mögen. Wie er immer an alles denkt, ist schon unheimlich. »Willst du auch noch riskieren, dass die Polizei dir auf die Schliche kommt? Und wenn du wissen willst, was in diesem Schließfach ist …«
    »… müssen wir nach England zurückkehren«, spreche ich den Satz zu Ende. Ich bekomme eine Gänsehaut.
    »Genau.«
    » England , Sean.«
    »Ich weiß, Eva.« Sean sieht nicht glücklich aus. »Dort sind wir den Meistern zwar unangenehm nah, aber ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.«
    So beunruhigend die Nähe zur Meisterei ist, denke ich doch unwillkürlich, dass wir dann auch näher bei Mina Ma, Erik und Ophelia sind und bei Seans

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