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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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irritiert an. »Die Geschichte stand in einem Märchenbuch und auf dem Umschlag war ein Elefant abgebildet. Aber wenn ich jetzt noch einmal das Wort Elefant höre, stürze ich mich in den nächsten Brunnen. Also, zu meiner Geschichte …«
    »Moment«, ruft Sean. »Was ist ein Mungo?«
    »Das wisst ihr nicht?«, fragt Mina Ma verblüfft. »Mungos ähneln Füchsen, aber sie sind kleiner und sehr wild und tapfer.« Sie sieht uns mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Noch was?«
    »Nein«, versichern wir beide gleichzeitig.
    »Gut, dann fange ich an. Es waren einmal ein junger Bauer und seine Frau. Eines Tages kam der Bauer mit einem verletzten Mungo in den Armen nach Hause. Seine Frau erwartete damals ihr erstes Kind. Der Mungo war noch ganz klein und hatte große schwarze Augen und ein weiches Fell. Der Bauer und seine Frau pflegten ihn liebevoll, doch fürchteten sie, der Mungo könnte, wenn ihr Kind erst geboren war, eifersüchtig sein und das Kind beißen.
    Sie hätten aber keine Angst zu haben brauchen. Der Mungo liebte das Baby, kaum dass es geboren war, und passte darauf auf. Er bewachte es mit solcher Hingabe, dass die Mutter es sogar allein lassen konnte, obwohl das Haus mitten in einem gefährlichen Wald mit giftigen Schlangen lag.«
    Ich knabbere an einem Fingernagel. »Holt jetzt gleich ein Panther das Baby?«
    »Wer erzählt hier die Geschichte?«, fragt Mina Ma empört.
    Ich bin still und mache ein zerknirschtes Gesicht.
    »So lebten sie ein Jahr zusammen. Der Mungo wurde groß und stark, das Baby gedieh ebenfalls prächtig. Eines Nachmittags gingen der Bauer und seine Frau zu einem Fest, auf dem sie tanzten und eingelegte Mangos und köstliche Chili-Gerichte aßen. Als sie zum Haus zurückkehrten, war alles ungewöhnlich still. Sie eilten zur Tür und wer saß dort auf der Schwelle? Der Mungo. Er sah sie mit seinen großen schwarzen Augen an und sein Gesicht war blutverschmiert.«
    Mir stockt der Atem. Sean, der mir gegenübersitzt, sieht Mina Ma unverwandt an.
    »Die Frau des Bauern schrie. Der Bauer war entsetzt darüber, dass das Tier, das sie aufgezogen hatten, ihr Baby getötet hatte. Er nahm einen Stock und schlug den Mungo tot.
    Sie ließen den Mungo liegen und stürzten in das Zimmer des Babys. Und da war es. Glucksend und lachend und ohne den kleinsten Kratzer lag es in seinem Bettchen. Der Bauer verstand nicht, was geschehen war, doch seine Frau zeigte aschfahl und mit zitternder Hand auf etwas, was neben dem Bett auf dem Boden lag. Es war eine Kobra, die giftigste Schlange, die es in diesem Land gab. Sie war tot und ihr Körper war mit Bisswunden übersät.«
    So albern und dumm es sein mag, mir stehen Tränen in den Augen. Jetzt kann ich mich auch wieder an die Geschichte erinnern.
    »Es gibt sie natürlich in unendlich vielen Fassungen«, sagt Mina Ma und fädelt geschäftig eine Nadel ein.
    »Ich erinnere mich«, sage ich, den Blick auf die Terrassentür mit unseren totenbleichen Spiegelbildern gerichtet. »Und ich weiß auch noch, dass in jeder Version, die ich kenne, der Mungo am Ende getötet wird.«

5. Gnade
    U m vier Uhr morgens wache ich auf. Ungewohnte Geräusche haben mich aus einem Amarra-Traum gerissen. Ich setze mich im Bett auf und mir wird bewusst, dass ich das Knarren der Haustür gehört habe. Das ist um diese Zeit ungewöhnlich.
    »Tut mir leid, Mina«, höre ich eine gedämpfte Stimme aus dem Wohnzimmer. Ophelia. »Ich weiß, du hast mich erst später am Morgen erwartet, aber ich konnte nicht schlafen und dachte, ich spare Zeit und fahre gleich in der Früh …«
    »Verständlich«, höre ich Mina Mas schlaftrunkene Stimme. »Wer will dort schon länger als notwendig bleiben?«
    Offenbar meint sie die Meisterei. Über nichts anderes spricht sie in einem so barschen Tonfall.
    »Es ist nicht deshalb.« Ophelia klingt gekränkt. »Es macht mir nichts aus, dort zu sein, ich …« Sie spricht nicht weiter, offenbar weil sie einsieht, dass es vergeblich wäre. Ophelia verteidigt die Meisterei immer. Sie glaubt an die Meister, schon immer. Ich vermute, sie weiß, dass sie und Mina Ma darüber nie einer Meinung sein werden.
    Nach einer Pause sagt Mina Ma freundlicher: »War es sehr schlimm?«
    Ich höre keine Antwort. Wahrscheinlich hat Ophelia genickt, denn Mina Ma fährt fort: »Es ging also nicht gut? Nein«, fügt sie rasch hinzu, »du bist ja ganz außer dir. Lass uns in den Garten gehen und dort reden.«
    »Schlafen die Kinder?«
    »Ja.«
    Es folgt eine lange Pause. Ich

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