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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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also …« Ich höre, wie sie den Rauch hastig ausatmet. »Elsa schwankte. Sie hätte vielleicht für das arme Mädchen gestimmt. Aber Adrian und Matthew stimmten zuerst und sie waren beide dafür, das Mädchen zu beseitigen, deshalb gab Elsa nach.«
    »Was passiert mit dem Vormund? Gefängnis?«
    »Ich weiß nicht«, sagt Ophelia. »Aber er hat das Gesetz ebenfalls gebrochen …«
    Mina Ma atmet langsam und traurig aus. »Ich hoffe bei jedem Prozess, dass sich das ändert. Dass sie ein einziges Mal Gnade walten lassen.«
    »Aber das geht nicht«, erwidert Ophelia. »Sie können nicht drohen und dann doch nichts tun. Sie können nicht Gesetze aufstellen und dann Verstöße durchgehen lassen.«
    »Das klingt gar nicht nach dir«, sagt Mina Ma streng. »Sagt Adrian das?«
    »Du bist unfair!«, protestiert Ophelia. »Die Meister tun doch nur, was sie für richtig halten. Bei Adrian ist das jedenfalls so.«
    Es folgt ein langes, gespanntes Schweigen.
    »Egal.« Mina Ma klingt versöhnlicher. »Komm. Du musst dich ausruhen, du hast nicht geschlafen und bist eine weite Strecke gefahren. Geh rein und nimm mein Zimmer. Ich schlafe den Rest der Nacht bei Eva.«
    »Eva?«, fragt Ophelia überrascht.
    »Sie hat sich selbst einen Namen gegeben. Sie sagt, sie will sich nicht länger dafür schämen, dass sie anders ist als normale Menschen. Sie will etwas Eigenes.«
    »Schön für sie.«
    Mina Ma klingt streng. »Du wirst das den Meistern gegenüber nicht erwähnen, klar?«
    Zum ersten Mal stiehlt sich ein Lächeln in Ophelias Stimme und mir wird ganz warm ums Herz, als sie sagt: »Was soll ich nicht erwähnen?«
    Ich hebe die Hände, um das Fenster zu schließen. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Die Meister kennen keine Gnade. Ich lehne mich gegen die Wand und rutsche nahe an Sean, um warm zu werden. Eine ganze Weile sitzen wir still da.

6. Das Tattoo
    M anchmal habe ich einen Traum. Es ist immer derselbe. Ich träume von einem Meister, der mich aus Liebe geschaffen hat. Ich bin in einem hellgrün gestrichenen Zimmer, eine dunkle, raue Stimme, singt mich in den Schlaf. Der Meister spricht mit mir. Er hält mich hoch und wirft mich dann lachend in die Luft. Ich träume den Traum immer wieder, aber ich weiß, dass er falsch ist. Dumm. Ich darf mir nicht einreden, dass es da je irgendeine Art von Liebe gab.
    Die Meister dürfen von meinem Namen oder dem Zoo nichts wissen. Sie dürfen auch nicht erfahren, wie es sich anfühlte, als Sean mein Handgelenk berührte. Oder dass wir im Dunkeln zusammensaßen, während Ophelia von gebrochenen Gesetzen redete und von Mädchen, die sterben müssen.
    Ich muss meine Geheimnisse hüten und Amarras Leben weiterleben. Und zu diesem Leben gehört jetzt ein Tattoo.
    Die Meister wollten einen ihrer Leute schicken, um es mir zu stechen, aber Erik hat vorgeschlagen, ich solle das lieber in der Stadt machen lassen.
    »Das ist kein großer Aufwand«, sagte er mir am Telefon. »Und von einem kleinen Ausflug hast du mehr, als wenn du zu Hause bleibst. Mina wird sich als deine Mutter ausgeben, denn Minderjährige brauchen die Erlaubnis eines Elternteils. Und nimm das Foto mit!«
    Statt Unterricht bei Erik zu haben, gehe ich also am Montag ins Tattoostudio. Mina Ma und Ophelia begleiten mich. Mina Ma schweigt missbilligend, aber Ophelia plappert munter drauflos, um mich bei Laune zu halten. Obwohl ich schon mein ganzes Leben hier wohne, fühlt sie sich verpflichtet, mir alles zu zeigen: den Friedhof, den Pub und das Beatrix-Potter-Museum. Sie meint es gut, deshalb tue ich so, als würde ich den Pub nicht kennen.
    Das Tattoostudio liegt in einer kleinen Gasse. Als wir eintreten, sieht es zu meiner Überraschung überhaupt nicht heruntergekommen aus. Die Zimmer wirken freundlich und an den Wänden hängen Bilder von Tattoos. Aus dem Zimmer nebenan kommt allerdings ein bedrohliches Geräusch, das Surren der Tätowiermaschine. Mir wird wieder mulmig zumute.
    »Du musst Amarra sein«, sagt eine männliche Stimme.
    Ich drehe mich um. Der Tätowierer ist untersetzt und pausbäckig, sein bleiches Gesicht ist ein einziges Kunstwerk. Ich will seine Piercings zählen, aber allein in den Augenbrauen sind es zu viele.
    »Eva«, platze ich unwillkürlich heraus.
    Der Mann sieht Mina Ma und Ophelia fragend an. »So heißt sie«, sagt Mina Ma in einem Ton, der keine Widerrede duldet.
    »Okay«, sagt der Mann freundlich. »Ich bin Tim. Dein Onkel hat angerufen und den Termin für dich ausgemacht. Du bist

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