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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Ströle
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ihnen nur noch, ihr den letzten Wunsch zu erfüllen.«
    Meine Hände zittern. Ich gestehe mir ein, dass ich zwar wütend und gekränkt bin und Angst habe, aber zugleich nie mit einem anderen Ausgang gerechnet habe. Ich hätte mich an ihrer Stelle genauso verhalten.
    Ich vergewissere mich, dass Sasha mit ihren Spielsachen beschäftigt ist. Dann gehe ich mit Nikhil nach unten und mache ihm zur Beruhigung eine heiße Schokolade. Er trinkt sie und starrt stumm den Tisch an. Ich spüle seine Tasse und den Löffel ab und räume die Küche auf. Ich fühle mich vollkommen leer.
    Als es nichts mehr zu tun gibt, kehre ich in Amarras Zimmer zurück. Die Tür schließe ich hinter mir. Das war’s dann also. Ich schleudere mit aller Kraft Kissen durch das Zimmer, bis mir die Arme wehtun und die Nähte der Bezüge aufplatzen. Dann setzte ich mich auf das Bett und versuche, nicht zu weinen. Wütend springe ich wieder auf. Ich kann nicht einfach so aufgeben und zulassen, dass sie mich wie ein Opferlamm abführen.
    Von einem plötzlichen Energieschub überkommen, fange ich an, meine Sachen zu packen. Doch kurz darauf packe ich sie wieder aus und lege alles an seinen Platz zurück.
    Auch wenn ich mich vor der unbekannten Welt draußen fürchte, will ich instinktiv davonlaufen. Ich will mich losreißen und fliehen, so schnell und so weit ich kann, damit sie mich nicht finden und einfangen und in die Meisterei zurückbringen können. An nichts anderes kann ich mehr denken. Es ist meine einzige Chance.
    Doch ich kann nicht weglaufen. Nicht weil Mina Ma mich angefleht hat, es nicht zu tun, sondern weil ich mit der Meisterei verbunden bin wie durch eine Nabelschnur.
    Der Peilsender.
    Wenn ich fliehe, werden die Meister es erfahren. Sie werden mich finden. Ich kann den Sender nicht loswerden, denn ich weiß nicht, wo in meinem Körper er sich befindet.
    Es gibt keinen Ausweg für mich.
    Als Neil und Alisha über eine Stunde später zu mir kommen, sitze ich am Fenster. Bei ihrem Anblick steigt eine dumpfe Angst in mir auf. Ihre Augen sind noch gerötet, aber sie wirken gefasst. Ruhig.
    Alisha sieht mich schuldbewusst an. »Eva …« Sie stockt und schlägt die Hand vor den Mund, wendet aber den Blick nicht ab.
    »Wir haben die Papiere unterschrieben«, sagt Neil. Er klingt nicht, als sei er glücklich darüber. »Und per Kurier nach London geschickt. In zwei Tagen müssten sie dort sein. Aber ich habe die Meister nicht vorgewarnt. Sie werden von dem Antrag erst erfahren, wenn er vor ihnen liegt.« Ich sage nichts, denn ich verstehe nicht, worauf er hinauswill. »Wenn du … wenn du also das Gefühl hast, dass du von hier fortgehen willst … dann solltest du wissen, dass wir … keinen Grund sehen, dich daran zu hindern.«
    Ich sehe ihn verständnislos an. Einmal, zweimal. Dann fällt der Groschen.
    »Ihr meint, ich soll weglaufen«, sage ich. »Aber das geht nicht. Wisst ihr das nicht? Irgendwo in meinem Körper steckt ein Sender. Egal wohin ich fliehe, sie werden mich finden.«
    »Aber …«, sagt Alisha erschrocken. »Aber dann …«
    Sie starren einander an und dann mich. Es tröstet mich ein wenig zu wissen, dass sie mir wenigstens eine Chance geben wollten. Dass sie nicht wirklich wollen, dass mir etwas passiert. Ich lächle schwach und sage: »Ist schon okay. Ich komm schon zurecht.« Im Lügen bin ich inzwischen geübt.
    Ich spüre, dass sie es nicht dabei belassen wollen, aber ich will das Gespräch beenden, deshalb sage ich: »Kann ich jetzt bitte allein sein?« Sie gehen widerstrebend und mein Lächeln erstirbt.
    In dieser Nacht schlafe ich nicht. Ich sitze auf dem Bett und falte Papierkraniche aus den herausgerissenen Seiten eines Hefts. Irgendwo habe ich gelesen, wenn man tausend Kraniche faltet, hat man einen Wunsch frei. Fieberhaft arbeite ich die ganze Nacht durch. Dabei denke ich unablässig nach. Ich denke mir die verrücktesten, abwegigsten und raffiniertesten Pläne aus und lache dann über mich selbst und meine Fantasie. Ich bin in einem Netz gefangen. Sosehr ich mich auch anstrenge, ich komme nicht frei.
    Dann, in den frühen Morgenstunden, als meine Energie verbraucht ist und Verzweiflung sich ausbreitet, denke ich an meine Vormunde und wie schrecklich es für sie sein wird, wenn sie davon erfahren. Ob ich sie noch ein letztes Mal sehe, bevor die Meister mich auslöschen? Will ich das überhaupt? Vor meinem inneren Auge sehe ich Seans grüne Augen aufblitzen und ich zucke zusammen. Sollen sie mich nicht lieber so

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