Lost Girl. Im Schatten der Anderen
geschaffen. Es mangelt dir deshalb weder an Verstand noch an der Fähigkeit, dir selbst zu helfen. Alles andere wäre auch offen gesagt beschämend. Deshalb rate ich dir: Langweile mich nicht mit der Bitte um Hilfe. Finde selbst einen Weg aus der Schlinge.«
Es klickt und die Verbindung ist tot.
Ich sollte wütend auf ihn sein, stattdessen bin ich wütend auf mich. Warum habe ich gehofft, dass er mir helfen würde? Wegen der albernen Träume von dem hellgrün gestrichenen Kinderzimmer, in dem Matthew mich in den Schlaf singt? Das sind nur Träume, die nie Wirklichkeit waren. Matthew hilft mir nicht. Und Neil und Alisha haben mich den Meistern ausgeliefert und können mich nicht mehr vor meinem Schicksal retten. Mein Vormunde sind weit weg, und wenn ich mit einem von ihnen Kontakt aufnehmen und die Meister es erfahren würden, hätte ich das Gesetz gebrochen. Ich würde verurteilt und der Schlafbefehl ohne Aufschub vollstreckt. Nach dem, was ich bisher gehört habe, bilde ich mir nicht ein, dass die Meister mich verschonen würden. Ich hätte also auch noch die wenige Zeit verloren, die mir bleibt.
Mir wird vor Verzweiflung ganz schwindlig. Ich habe keinen Plan, aber immerhin Zeit. Ich zwinge mich, gleichmäßig zu atmen. Irgendein Ausweg muss sich doch finden.
Mit weichen Knien und zitternd kehre ich in Amarras Zimmer zurück. Ich setze mich auf ihr Bett, mein Bett, und warte auf meinen siebzehnten Geburtstag, darauf, dass die letzten zwölf Monate meines Lebens anbrechen.
12. Minen
A n meinem Geburtstag gehe ich aus. Meine Anwesenheit hätte Amarras Familie nur daran erinnert, dass ihre Tochter und Schwester diesen Tag nicht mehr erleben kann. Stattdessen geht Lekha mit mir zum Mittagessen zu Koshy’s, einer Attraktion von Bangalore. Das Essen schmeckt hervorragend und wir genießen es in vollen Zügen, aber gleich danach muss Lekha los. Sie ist mit ihrem Vater verabredet. »Er holt mich an der Ecke dort drüben ab«, sagt sie, als wir vor dem Restaurant stehen. »Seufz. Ich kann es kaum erwarten, bis ich endlich alt genug bin, um selbst zu fahren.«
»Ray fährt schon«, sage ich, »und Sonya auch. Die sind auch noch nicht achtzehn.«
Lekha verdreht die Augen. »Anscheinend bin ich die Einzige, die erst einen Führerschein haben will, bevor sie Auto fährt. Ray und Sonya wissen, wie man fährt. Ich weiß das auch. Aber offiziell dürfen wir deshalb noch lange nicht fahren.«
»Hat Ray nach dem Unfall keine Schwierigkeiten bekommen?«
»Der fehlende Führerschein hat den Unfall nicht verursacht«, erklärt Lekha. »Der Polizist war deshalb gegen eine gewisse Summe bereit, diesen kleinen Makel zu ignorieren.«
Ich werde nie verstehen, wie diese Stadt funktioniert.
»Alles in Ordnung?«
Mir ist auf einmal ganz heiß, aber ich setze mein bestes Pokerface auf. »Es wäre nett, wenn mir jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf schütten könnte. Was ist das für eine Affenhitze? Ich verglühe.«
»Halt«, sagt Lekha streng, »komm mir bitte nicht mit dieser Ausrede. Du bist schon den ganzen Tag so komisch.« Sie zeigt mit dem Finger auf mich. »Habe ich dir nicht ausdrücklich verboten, heute an den Schmarren mit dem Schlafbefehl zu denken?«
»Was heißt hier …«
»Eva!«
»Ich kann nicht anders«, sage ich leise. »Ich habe das Gefühl, in meinem Kopf läuft ein Countdown ab.«
Lekhas Miene wird etwas milder. Sie ist bemerkenswert stark. Nur am Anfang, als ich ihr alles erzählt habe, ist sie in Tränen ausgebrochen.
»Du hast ein Jahr«, sagt sie jetzt und klingt schon wieder unternehmungslustig. »Du findest einen Ausweg. Wir finden einen. Zugegeben, ich weiß so gut wie nichts über die Meisterei und diese schrecklichen Gesetze, von denen du immer redest, aber ich habe Courtage und werde dir helfen, so gut ich kann.«
»Du hast was?« Ich unterdrücke ein Lächeln. »Maklergebühren? Du meinst bestimmt Courage.«
»Courage, Courtage, für mich ist das offen gesagt alles dasselbe. Sollte jemand, der schon den Sensenmann mit der Sense klappern hört, sich wirklich noch mit solchen Spitzfindigkeiten abgeben?«
»Also gut«, gebe ich mich geschlagen und muss gegen meinen Willen grinsen. »Du hast jede Menge Courtage.«
Lekha lächelt und umarmt mich. »Ich lasse jedenfalls nicht zu, dass sie dir wehtun«, sagt sie. »Und wenn ich dich auf der Kaffeeplantage meiner Mutter verstecken muss.«
»Danke.« Ich drücke sie fest an mich und fühle mich ein wenig besser. »Ich nehme dich beim
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