Lost Land
und dabei gaben ihre toten Hände nach und öffneten sich auf dem Bettrand wie verblühte Blumen. Tom hielt sie mit einer Handfest und griff mit der anderen hinter sie, um ihr die Pflockspitze in die Schädelbasis zu drücken.
Jeder Verstorbene kehrte als Zombie zurück. Ganz gleich wie, ganz gleich wer. Ohne Ausnahme.
»Geh raus, Benny.«
»Ich ⦠kann nicht.«
»Benny ⦠bitte!«
Benny zog sich bis zur Tür zurück, brachte es jedoch nicht über sich, den Raum zu verlassen.
Tom schloss die Augen, zunächst nur leicht, als schliefe er. Dann kniff er sie mit aller Kraft zusammen, als wäre er in einem entsetzlichen Albtraum gefangen und nicht in der Lage zu schreien. Seine Lippen verzogen sich, seine Brust hob und senkte sich, einmal, zweimal ⦠und dann blitzte silberfarbener Stahl auf. Jessie Riley kehrte nicht von den Toten zurück. Sie hatte genug gelitten und diese letzte Erniedrigung würde ihr erspart bleiben.
Benny stand noch eine ganze Weile in der Tür, während Tom auf dem Bettrand saà und Jessie in seinen Armen wiegte. Er weinte nicht und schrie auch nicht. Stattdessen fraà er den Schmerz in sich hinein, schluckte ihn hinunter und vergiftete damit seine Seele. Benny verstand seinen Bruder. Vielleicht kam eines Tages der Moment, in dem er diese blinde Wut herauslassen konnte. Aber nicht jetzt und nicht hier.
Nicht, solange Nix irgendwo dort drauÃen war.
Nach einer ganzen Weile bettete Tom Jessie auf den FuÃboden und zog das Laken über sie, sodass sie vollständig bedeckt war. Mit wackeligen Beinen rappelte er sich auf und blieb mit gesenktem Kopf neben ihr stehen.
Benny sah, dass sich die Lippen seines Bruders bewegten.Sprach er ein Gebet oder gab er ein Versprechen ab? Benny schwieg. Er wusste, dass er hier nur ein AuÃenstehender war, ein Eindringling in Toms Privatsphäre. Aber er konnte jetzt nicht gehen â er konnte seinen Bruder ebenso wenig alleinlassen, wie Tom Nixâ Mutter alleinlassen konnte.
Als Tom sich zu ihm umdrehte, wirkte seine Miene gefasst. Zumindest schien es so. Benny war sich nicht sicher, ob die Gelassenheit seines Bruders echt war oder nur eine Maske, die er aufsetzte, wenn er seine Gefühle vor allen verbergen wollte. Früher hatte Benny dieses gelassene Auftreten immer verrückt gemacht, jetzt verunsicherte es ihn. Es wirkte so gezwungen, so unnatürlich.
Tom ging an Benny vorbei ins Wohnzimmer, in dem die Stadtwache eine gründliche Untersuchung des Tatorts vornahm. Gorman schnippte mit den Fingern. »Ich hab da was!«
Sofort eilten Tom und Strunk zu ihm und Benny musste den Hals recken, um an ihnen vorbei noch etwas sehen zu können. Gorman schob einen Haufen Geschirrscherben beiseite, unter dem eine alte, abgewetzte Münze zum Vorschein kam. Auf einer Seite prangte eine exotische Blume, auf der anderen die Worte »Chúc may mắn .«
Der Deputy wollte Strunk die Münze reichen, doch Tom nahm sie ihm ab. »Es bedeutet âºViel Glück⹠«, erklärte er.
»Was ist das für eine Sprache?«, fragte Gorman. »Die Rileys sind Iren. Ist das Gälisch?«
»Nein, Vietnamesisch«, erläuterte Tom.
Strunk runzelte die Stirn. »Dann ⦠waren es gar nicht Charlie und der Hammer?«
»Sieht eher nach den Mekong-Brüdern aus«, schloss Gorman.
Tom wendete die Münze zwischen den Fingern, ging aber auf Gormans Vermutung nicht ein, weder durch ein Kopfnicken noch sonst irgendwie. Stattdessen sagte er: »Benny ⦠lass uns nach Hause gehen und packen.«
»Packen wofür?«, hakte Strunk nach. »Ich werde die verdammten Mekong-Brüder hier antanzen lassen.«
»Mach das«, erklärte Tom, »aber in der Zwischenzeit werden mein Bruder und ich den Leuten nachstellen, die das hier wirklich getan haben.«
»Wovon redest du? Wir haben hier einen handfesten Beweis.«
Tom machte sich nicht die Mühe, zu antworten. Er lieà die Münze auf den Boden fallen und marschierte zur Tür.
Vor dem Haus mussten sie sich einen Weg durch die versammelte Nachbarschaft bahnen. Jeder überschüttete sie mit Fragen, doch Toms Gesicht war wie versteinert. Benny schob und drängelte, um seinem Bruder folgen zu können. Die Sanitäter hatten Morgie inzwischen ins Krankenhaus gebracht. Als sie die Menschenmenge hinter sich gelassen hatten, marschierten die Brüder die StraÃe
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