Lost on Nairne Island
gruselig ist das gar nicht. In früheren Zeiten fanden die Leute es seltsam, wenn jemand nicht daran glaubte, dass die Dahingeschiedenen mit einem in Kontakt treten. Die Leute fühlten sich einfach wohler mit der Vorstellung, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und dass die Welten der Lebenden und der Toten miteinander interagieren. Hast du zum Beispiel an Weihnachten schon mal Milch und Kekse hingestellt für den Weihnachtsmann?«
»Klar, aber du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass der Weihnachtsmann ein Geist ist, oder?«
Mandy lachte. »Nein. Es gibt keine Weihnachtsmann-Zombies. Trotzdem gibt es Grund zur Annahme, dass dieser Brauch auf eine irische Tradition zurückgeht, wo man an Heiligabend Milch aufs Fensterbrett stellt, um die Geister der dahingeschiedenen Familienmitglieder zu begrüÃen, die in dieser Nacht erwartet werden. Die alten Griechen brachten den Toten ebenfalls oft Opfergaben in Form von Lebensmitteln dar. Oder denk doch mal an Halloween. Jeder verkleidet sich und zieht los, um SüÃigkeiten zu erbetteln, doch nur wenige kennen den geschichtlichen Hintergrund. Er geht zurück auf das uralte keltische Fest des Samhain. Man glaubte, dass sich an diesem Tag die Pforten zum Reich der Toten öffneten. Dass die Grenze zwischen den Reichen der Lebenden und der Toten in dieser Nacht am durchlässigsten ist. Die Leute zündeten Lagerfeuer an, brachten Essen als Opfergaben dar und verkleideten sich, um die Toten zum Narren zu halten.«
»Mann, du ruinierst mir diesen Tag ja total. Für mich geht es in erster Linie um die SüÃigkeiten.«
»Tut mir leid.« Sie lächelte und legte den Kopf schief. »Was ich dir damit sagen will, ist Folgendes: Auch wenn es uns heute komisch vorkommt, über Geister zu reden, war das nicht immer so. Früher glaubte jeder an sie, es war ganz normal. Da war auch nichts gruselig daran. Ich glaube, der Graben zwischen den beiden Welten war früher nicht so tief. Es gab viel mehr Kommunikation zwischen ihnen.«
»Wenn wir also davon ausgehen, dass es Geister gibt, warum hab dann ausgerechnet ich das Glück, was zu sehen, wo doch sonst keiner was bemerkt hat?«
»Ich glaube tatsächlich, dass du Glück hast«, meinte sie, da ihr mein Sarkasmus offensichtlich entging. »Geister müssen oft lange warten, bis sie jemandem begegnen, der offen genug ist, ihnen zuzuhören. Sie erkennen eine Art Begabung in diesen Menschen. Und es ist wirklich schade, dass nicht jeder dazu fähig ist.« Mandy sah fast aus, als würde sie am liebsten losheulen. Dieses ganze Gerede über ihre toten Freundinnen ging ihr offensichtlich doch ziemlich nahe. Ich wette, sie hätte alles gegeben, um was von ihnen zu hören, und ich schämte mich dafür, dass ich mich so ängstlich zeigte, statt mich geehrt zu fühlen, dass möglicherweise ein Geist mit mir kommunizierte.
»Du glaubst also an die Existenz von Geistern?«
»Ich glaube nicht nur an sie, ich weiÃ, dass sie existieren.«
Dass sie so überzeugt war, überraschte mich. »Hast du denn einen Rat für mich?«
Ihr Blick richtete sich auf mich. »Geister sind auch nicht anders als Menschen. Es gibt welche, die sind kinderleicht zu verstehen, und andere, die sich nicht so deutlich ausdrücken. Hör einfach genau hin, dann merkst du schon, was sie dir sagen wollen. Und sei vorsichtig. Sei sehr, sehr vorsichtig.«
31
V ielleicht würde es besser funktionieren, wenn wir eine Kerze anzünden oder so«, brach Nate das Schweigen.
Verflucht. Erst belästigten einen die Toten so lange, bis man tatsächlich mit ihnen reden will, und dann lassen sie sich auf einmal nicht mehr blicken. Was zum Kuckuck haben sie denn im Jenseits sonst zu tun? Ob sie wohl beim Fernsehen bei irgendeiner Sendung hängen geblieben sind und dann völlig die Zeit vergessen haben? Ich rollte die Schultern zurück. Mir tat der Rücken weh, weil wir über dem Ouija-Brett kauerten, das Nicole bei mir vergessen hatte. Bislang hatte es mir null Botschaften aus dem Jenseits beschert, dafür aber heftige Rückenschmerzen.
»Ich versteh das nicht«, sagte ich. »Man möchte doch meinen, dass ein Geist, der einem etwas mitteilen will, so eine Chance nutzen würde.«
»Vielleicht liegt es ja an mir«, meinte Nate.
»Nein«, sagte ich bestimmt. Dennoch fragte ich mich, ob er wohl recht hatte. Vielleicht
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