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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lost Place Vienna
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schwarz.
    Valentina wusste nicht, ob sie ihre Lage verändern wollte. Es gefiel
ihr in ihrem finsteren Sarg. Die Kissen waren bequem; einfach ruhig zu liegen,
abgeschottet von allem, das hatte etwas. Wenn der Tod so wäre, sie könnte sich
mit ihm arrangieren. Eine gepolsterte, dunkle Einzelzelle, in der man nicht von
anderen Toten gestört wurde; das hätte wohl auch Don Bernardo gefallen. Er
hatte immer gesagt, der furchtbarste Gedanke am christlichen Glauben sei, dass
man nach dem Tod all den Idioten wiederbegegnen würde, denen man schon im Leben
nicht ausweichen konnte. Und in seine Wangen hatten sich die frechen Grübchen
geschnitzt, die sein Lachen so unwiderstehlich machten. Er war das gewesen, was
man gemeinhin einen Schelm nannte. Sein Humor war fein und doch bissig,
erbarmungslos, aber von entwaffnendem Charme gewesen. Er fehlte ihr. Ihm wäre
sie jetzt gerne begegnet. Aber sie wusste, dass sie nicht tot war, also würde
sie ihm nicht begegnen können.
    Lange würde sie die Ruhe in ihrer Einzelzelle allerdings nicht
ertragen können, deswegen überprüfte sie den Deckel ihres Sarges. Sie stemmte
sich dagegen, und er leistete kaum Widerstand, schien nur mit wenigen
Holznägeln an den vier Ecken provisorisch geschlossen worden zu sein. Jemand
wollte also, dass sie mit Leichtigkeit herauskam. Kurz fürchtete sie, dass sie
bereits in der Grube lag und gleich Schaufeln voller Erde auf den Sargdeckel
geschüttet werden würden. Sie verstärkte den Druck. Der Deckel löste sich mit
einem Knarren. Sie balancierte ihn auf den Händen, damit er nicht zur Seite fiel,
und legte ihn dann schräg auf der Kiste ab, sodass sie den Kopf hinausschieben
konnte, um zu sehen, wo sie sich befand.
    Sofort spürte sie wieder einen Stich in der Schläfe. Sie schloss die
Augen, wartete, bis der Schmerz verflogen war, und blinzelte dann in den Raum,
in dem es kaum heller war als zuvor in der Kiste. Allmählich erkannte sie die
Umrisse weiterer Kisten, hohe Stellwände, dann ein Gebilde, das sie erschrecken
ließ. Es waren Teile der Guillotine, die sie zuvor noch auf der Bühne des Burgtheaters
gesehen hatte.
    Wo war sie? Im Lager des Theaters? War das Lager im Theater selbst?
Oder außerhalb? Sie hatte keine Ahnung, wie der Logistikbetrieb eines Theaters
funktionierte. Das Burgtheater war riesig; da konnte es schon sein, dass auch
Platz für die Bühnenbilder vorhanden war.
    Adler wüsste jetzt bestimmt Bescheid. Aber Adler war tot. Ein
Schauder überkam Valentina, und dann begann sie zu weinen. Ihr Körper wurde
geschüttelt von den sich entladenden Emotionen. Sie hörte sich schluchzen, und
es war ihr egal, ob es auch jemand anders hören konnte. Dann sollten sie sie
nun eben fassen und mit ihr machen, was sie wollten. Sie konnte und wollte
nicht mehr. Es war ihr nicht egal, wer um sie herum alles starb. Und jede
Leiche, das wusste sie, stellte man ihr in Rechnung. Nein. Nur jetzt nicht
aufgeben. Sie würde weiterkämpfen, bis man sie zur Guillotine schleppte. Wenn
sie jetzt aufgäbe, würden die Toten auch nicht wieder lebendig. Und sie wäre
eine lebende Tote: ein Roboter, der ausführte, was andere von ihr verlangten.
Noch war sie ein Individuum, noch hatte sie einen Willen, auch wenn ihr bewusst
war, dass er bereits manipuliert wurde. Inwieweit ihre geglaubte Individualität
tatsächlich schon ferngesteuert war, wusste sie nicht zu sagen.
    Ein irres Kichern entglitt ihr. Sie war bereits paranoid. Wer wollte
es ihr verdenken? Sie stand unter Schock. So abgebrüht war sie nun auch wieder
nicht. Ein gewisses Fell legte man sich zwar zu, wenn man für die Bundespolizei
Gewaltverbrechen aufzuklären hatte. Wie hatte Robespierre gesagt: »Die Sünde
ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspielt, das ist
Zufall.«
    Valentina aber wollte sich nicht dem Zufall ausliefern. Der Mensch
hatte für seine Gedanken und Taten Verantwortung zu übernehmen, die
Guillotinen-Willkür hatte kein Recht auf Tyrannei.
    Sie atmete tief durch und legte den Deckel leise auf den Boden. Dann
entstieg sie langsam der Kiste und tastete sich durch die Stellwände.
Vielleicht würde sie irgendwo Licht finden, das sich durch den Schlitz einer
Tür fraß.
    Aber es blieb dunkel.
    * * *
    Alberto war zufrieden. Zwar würde ihn Valentina beim nächsten
Treffen von Angesicht zu Angesicht erkennen, aber das war ihm mittlerweile
egal. Er wollte sogar, dass sie wusste, wer ihr Schutzengel war. Es war keine
Eitelkeit, die ihn zu dieser

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