Lost Place Vienna (German Edition)
Hilfe.
Es klopfte an der Wohnungstür. Nicola glaubte an ein nacktes
Stromkabel zu fassen, so schoss ihr der Schreck durch den Körper.
»Nicola, sind Sie da? Ich bin es, Adler. Ich wollte wissen, wie es
Ihnen geht«, drang es von der anderen Seite der Wohnungstür zu ihr. »Falls Sie
zu Hause sind, öffnen Sie doch bitte.«
Nicola erhob sich langsam aus dem Küchenstuhl und ging in den Flur.
Ihre Knie drohten einzuknicken. Sie stützte sich mit einer Hand an der Wand ab.
»Moment, ich komme«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte wie eine
singende Säge.
Endlich erreichte sie die Wohnungstür. Die Tür hatte kein Guckloch.
Sie musste dem trauen, was sie gehört hatte. Sie hätte noch einmal etwas fragen
können, um die Stimme Adlers eindeutig zu identifizieren. Aber der Drang, auf
der anderen Seite ihre heimliche Liebe zu sehen, war größer als die Vorsicht.
Mit einem Ruck riss sie die Wohnungstür auf, um sich ihrem Schicksal
zu ergeben. Und sie hätte vor Freude sterben mögen, als sie tatsächlich Adler
vor sich stehen sah.
»Nicola, wie geht es Ihnen?«, fragte er warm lächelnd, und seine
Stimme schmolz in Nicolas nach Süße gierendem Ohr wie Butterkaramell in der
Sommerhitze.
»Darf ich reinkommen?«
»Ja, ja, natürlich, entschuldigen Sie«, stammelte sie.
Nicola trat einen Schritt zur Seite und ließ Adler eintreten. Dann
ging sie voran und führte ihn in die Küche.
»Wollen Sie etwas trinken? Kaffee? Tee?«, fragte sie unsicher.
Jetzt, da er vor ihr stand, wusste sie nicht recht, wie sie es anfangen sollte.
Sie konnte sich ihm doch nicht gleich an den Hals werfen und ihm die Kleider
vom Leib reißen. Aber das Bild hatte sich nun mal in ihren Kopf gebrannt, und
so nagte sie verlegen an ihrer Unterlippe wie die billige Kopie einer Lolita.
»Ein Tee wäre ganz gut. Haben Sie Pfefferminz?«, fragte er, und die
Worte drangen wie aus weiter Entfernung an Nicolas Ohr. Es war, als ob Adler
vom Gipfel eines Berges zu ihr ins dunkle Tal hinabriefe und selbst auf das
Echo wartete.
»Pfefferminztee«, gab sie ihm das Echo und nickte. »Ich habe sogar
frische Minze im Topf.«
»Nein danke, im Beutel wäre mir lieber. Ich mag kein Kraut im Glas.
Da bekomme ich immer den Eindruck, ich würde aus einer Blumenvase trinken.«
Nicola lachte. Er konnte so witzig sein. Oh Gott, war sie einfältig.
Aber wenn man so verknallt war wie sie, wurde man das wohl.
Unkonzentriert öffnete sie eine Schublade nach der anderen, um die
Teebeutel zu finden. Erfolglos. Dann erinnerte sie sich, dass sie sie in einem
der Hängeschränke über der Küchenzeile verstaut hatte, und stellte sich auf die
Zehenspitzen, um ihre Suche dort fortzusetzen. Gleichzeitig wusste sie, dass
ihr Recken eine aufreizende Bewegung war, die ihre langen Beine und ihre Brüste
zur Geltung brachte. Sie schluckte, weil sie hoffte, dass sich Adler gleich von
hinten an sie drücken würde, um ihren Hals zu küssen. Aber sie hätte wohl bis
zum Krampf auf den Zehenspitzen stehen können, Adler rührte sich nicht vom
Fleck.
Sie fischte den Karton mit den Teebeuteln aus dem Schrank und glitt
mit Mittel- und Zeigefinger darüber, als suche sie nach einer bestimmten
Karteikarte.
»Hier, der letzte. Sie haben Glück«, sagte sie und war froh, nichts
Dummes gesagt zu haben.
Sie stellte zwei japanische Teetassen auf den Tisch und goss das
heiße Wasser ein. Dann tauchte sie für Adler den Pfefferminzbeutel in die eine
Tasse und entschied sich selbst für einen Früchtetee.
»Zucker?«, fragte sie und blieb weiterhin auf sicherem Terrain.
»Danke, nein.«
»Ich kann Ihnen auch immer noch einen Espresso machen.«
»Danke, der Tee ist wunderbar. Ich bin ja nicht hier, um mich von
Ihnen bedienen zu lassen, sondern um zu reden. Wenn Sie wollen, können wir es
machen wie bei der Psychoanalyse. Sie legen sich aufs Sofa und erzählen frei.«
Er nahm den Teebeutel wieder aus der Tasse und warf ihn ins Waschbecken.
Adler bemerkte Nicolas irritierten Blick und lachte. »Wenn er zu
lange drin ist, schmeckt er bitter. Jedenfalls bilde ich mir das ein.«
Er nippte an der Tasse, setzte sie wieder ab und blickte Nicola
erwartungsvoll in die Augen.
»Ja, das ist gut. Sofa ist gut. Da fühle ich mich bestimmt freier.
Danke, dass Sie deswegen extra vorbeikommen. Aber wollen Sie nicht erst den Tee
trinken?« Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Adler in rein therapeutischer
Mission zu ihr gekommen war. Aber weswegen sonst? Schließlich hatte sie ihn ja
angerufen, um ihm
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