Lost Princesses 02 - Ketten Der Liebe
Kind im Stich ließ.«
»Wie erklärst du dir dann, dass eine Lady, die du so sehr liebtest, dich plötzlich verlässt?« Amy strich ihm über das verspannte Kinn. »Miss Victorine glaubt nicht, dass deine Mutter einfach so ohne Grund fortgegangen ist.«
Er entzog sich ihrer Hand. »Miss Victorine ist eine liebenswerte alte Dame, die in jedem das Gute sucht.«
»Nicht in jedem. Nicht in Harrison Edmondson. Sie mag ja alt sein, Jermyn, aber sie ist nicht senil. Sie erinnert sich noch ganz genau an die Ereignisse, die dreiundzwanzig Jahre zurückliegen, obwohl sie nicht unmittelbar davon betroffen war. Du warst noch ein Junge. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob Godfrey vertrauenswürdig war, und genauso wenig kannst du mit Sicherheit sagen, was mit deiner Mutter geschah.«
Er stand auf, ging zum Rand der Klippen und kam dann zurück. »Fest steht doch, dass sie nie zurückkam. Warum machst du dir überhaupt Gedanken um meine Mutter?«
»Weil sie auch dir nicht aus dem Kopf geht.«
»Nein, da gibt es noch einen anderen Grund, warum du dich mit ihr beschäftigst.« Er suchte ihren Blick und schien von ihr zu verlangen, dass sie in sich hineinhorchte und ihm die Wahrheit sagte.
Und obwohl sie der Ansicht war, dass sie ihm bereits die Wahrheit gesagt hatte, gab sie schließlich zu: »Ich habe meine Mutter nicht kennengelernt. Und mein Vater schickte mich fort. Das sei nur zu meinem Besten, wie er sagte. Dann zog er in den Krieg ... und fiel, als er seine Truppen ins Feld führte. Er sprang selbst in die Bresche, um die Rebellen zu besiegen. Sein Tod läutete das Ende der Revolte ein. Nur durch sein Opfer bewahrte er Beaumontagne vor der Anarchie.« In bitterem Ton fügte sie hinzu: »So habe ich es zumindest gehört.«
Jermyn kniete vor ihr. »Ich bin mir sicher, dass es so gewesen ist.«
»Wenn ich der Vernunft den Vortritt lasse und mich nicht wie das allein gelassene Kind fühle, dann glaube auch ich, dass es sich so zugetragen hat.« Doch zu vieles in ihrem Leben war ungerecht zugegangen, sodass sie oft nichts als Verzweiflung spürte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Mutter, die so liebevoll zu ihrem Kind war, einfach so fortgeht. Und daher möchte ich auch meinen Vater als jemanden in Erinnerung behalten, der bis zum letzten Augenblick für mich da war ... bis der Tod ihn einholte.«
»Aber es war nicht der Tod, der mir meine Mutter nahm.«
»Bist du dir da so sicher?«, hakte sie nach.
Seine Augen verengten sich, als er Amy ansah und auf ihre nächsten Worte zu warten schien.
»Seit sie dich verließ, hat sie niemand mehr gesehen«, erklärte sie.
»Die Welt ist groß.«
»Aber nicht so groß, dass eine Lady und ihr englischer Geliebter sich versteckt halten können, ohne je entdeckt zu werden.« Amy merkte, dass Jermyn ihr tatsächlich zuhörte. Mehr konnte sie im Augenblick nicht verlangen. »Hat seitdem irgendjemand wieder von ihr gesprochen?«
»Nur Onkel Harrison, aber er sagte bloß, er sei überrascht, dass sie nicht schon früher gegangen ist. Sie sei eine leichtfertige Ausländerin und ...« Jermyn unterbrach sich und sah Amy an.
»Wenn man dem Boten nicht traut, dann darf man auch der Nachricht nicht trauen«, wiederholte sie seine Worte, hatte sie doch erkannt, wie wahr diese Aussage war.
An diesem Abend gedachte sie, Clarice einen Brief zu schreiben, um ihr mitzuteilen, wo die kleine Schwester sich im Augenblick aufhielt. Nebenbei würde sie taktvoll auf die heidnische Hochzeit eingehen und Clarice sämtliche Fragen stellen, die sie schon lange beantwortet haben wollte. Das Wichtigste war jedoch, dass sie ihrer Schwester schreiben musste, dass sie Godfrey nicht trauen durften. Sie würde sie wissen lassen, dass Jermyn sich an die Botschaft von Beaumontagne wenden und die Wahrheit über Großmutter, die Mörder und die Heimat herausfinden würde. Blieb zu hoffen, dass ihre Schwester mit allem einverstanden war.
»Es tut nichts zur Sache, ob ich Onkel Harrison vertraue oder weiter über das nachdenke, was er über meine Mutter sagte. Die Wahrheit ist bedeutungslos, denn meine Mutter ist und bleibt fort. Dein Vater ließ sein Leben im Krieg und starb den Heldentod. Wir haben beide unsere Eltern verloren, aber wir sind nicht unsere Eltern. Vielleicht hat mein Vater meine Mutter sogar vernachlässigt. Ich weiß, dass ihn diese Möglichkeit lange gequält hat.«
»Der arme Mann!«, entfuhr es Amy mitfühlend. »Hat er mit dir darüber gesprochen?«
»Einmal, ja. Nur ein einziges
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