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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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Bett. Handy vom Nachttisch. Ich trete an Lottas Bett und leuchte ihr damit ins Gesicht. »Eija, eija«, sagt sie. Sie strahlt in ihr Kissen.
    Ich nehme sie hoch. »Was machst du da?«
    »Airaija Aaaaja«, sagt sie. »Oioioioioioioi.«
    Schritte. Harry. »Was erzählst du da?«
    »Oioioioi.«
    »Hast du mir gerade geantwortet?«
    »Ajia.«
    Sie hört eine Stunde nicht mehr auf. Als hätte sie über zwei Jahre nachgedacht und beschlossen, nun alles auf einmal zu erzählen.
    »Eija eija eija eija eija.«
    »Ja, genau, Lotta. Eija, eija.«
    Da stehen wir im Dunkeln und unterhalten uns zum ersten Mal mit unserer Tochter, statt nur mit ihr zu reden. Lotta Wundertüte.
    Morgens beim Frühstück: »Das liegt bestimmt an den Eindrücken vom Kindergarten.«
    »Meinst du?«
    »Hast du dir die Kleinen da mal angehört? So viel Durcheinander hört Lotta hier zu Hause nicht.«
    »Oioioioi.«
    Ist das schon Sprache? Werden aus den Lauten irgendwann Wörter werden? Ein Arzt schüttelt den Kopf: »Das weiß man nicht.«
    Ich übe mit Lotta. »Hast du Hunger? Hunger, Lotta? Ja? Sag mal Hunger.«
    »Uuuaa.«
    »Ja, genau: Hunger.«
    »Uuuaaa.«
    Bilde ich mir das ein? Höre ich Wörter, wo nur Laute sind? Ich telefoniere mit Nina, Lotta auf dem Arm. »Uuuaa, uuaaa.«
    »Hat dein Kind gerade Hunger gesagt?«, fragt Nina am anderen Ende.
    Ja, hat sie. Lotta Wundertüte.

    Wir warten auf die Briefe vom Amt. Zwei Erzieher und ein Praktikant für 13 quirlige Kleinkinder ab einem Jahr und ein schwer mehrfach behindertes Mädchen – wie soll das funktionieren? Wird irgendwann der Punkt kommen, an dem Lotta nicht mehr genug Aufmerksamkeit bekommt? Oder die anderen? Wann werden sich die Eltern der anderen Kinder beschweren?
    Elternnachmittag in Lottas Kindergarten. Blätter wegkehren, Hecken zurückschneiden, Steine einsammeln. Nächstes Frühjahr sollen die Kinder hier im Garten spielen. Ben hilft mir Blätter in Säcke zu füllen, Harry hat sich die Heckenschere genommen, Lotta sitzt daneben in ihrem Buggy. Neben uns: »Hallo, ich bin die Mutter von Lina.«
    Ich ziehe meine Gartenhandschuhe aus und drücke ihre Hand.
    Sie schaut zum Buggy. »Und du musst Lotta sein. Von dir habe ich schon viel gehört.« Lina ist in Lottas Gruppe. »Klappt das gut mit ihr hier?«
    »Ja, wobei das ist natürlich kein Dauerzustand ohne Integrationshelfer«, sage ich. Bin ich schon in der Defensive?
    »Ich habe schon lange überlegt, wie ich das sagen soll ...«, sagt Linas Mutter. »Aber ...«
    »Ich weiß. Hoffentlich ...«
    »Ich finde das so wunderbar, dass Lina ein Mädchen wie Lotta kennenlernen kann«, unterbricht sie mich. »Dass sie lernen kann, wie unterschiedlich die Menschen sind, bevor sie in ihrem Kopf Schubladen bildet, um sie da reinzustecken.« Sie lächelt. »Das ist für Lina so eine wertvolle Erfahrung. Ich freue mich sehr, dass Lotta hier ist.«
    Anscheinend ist Lotta doch gut für die Mischung.

    Als ich Lotta eines Tages abhole, liegt sie in einem Knäuel Kinder in der Schmuseecke. Die Barrieren, die ich vorhergesehen habe, haben sich in Luft aufgelöst. Nur, dass es keiner bezahlen will.
    »Auf Dauer schaffen wir das nicht alleine«, sagt Zora. »Lotta braucht zu viel Unterstützung.«
    »Ich weiß«, sage ich. »Nächste Woche habt ihr erst mal Entlastung, dann fahren wir in Urlaub.«
    Unser erster Flug mit Epilepsie. »Machen Sie das ruhig«, sagt Dr. Waltz. »Da sollte nichts passieren.«
    Wir leben, wie man auf einem Waldsee Schlittschuh fährt. Wir haben Vertrauen, dass das Eis hält. Wir drehen Pirouetten. Nur wenn es knackt, schrecken wir zusammen und denken an das kalte Wasser darunter. Da sollte nichts passieren. Wird das Eis halten?

    Vor dem Gate. Ich trage Lotta über der Schulter, sie schreit wie eine Sirene. Ich laufe kleine Kreise um die Wickeltasche. Darin Wechselkleidung, Windeln, Apfelmusgläschen. Inhalierspray, falls Lotta die dünne Luft nicht verträgt. Alle Medikamente, die Lotta täglich braucht. Ich will sie nicht in den Koffer packen, was, wenn er verloren geht. Das Diazepam. Der Mann neben mir steht auf und setzt sich drei Reihen weiter. Lotta gellt durch die Halle. Ich wechsele die Laufrichtung. Fast alle Plätze sind besetzt. Über all den Köpfen thront Lotta auf meiner Schulter und schreit. Ich lasse sie auf- und niederhopsen, ich summe, ich schwitze. Wir fliegen nach Innsbruck, eine Stunde Flug. Harry und Ben sind seit gestern im Hotel. Ich hatte noch einen Arzttermin mit Lotta. »Mama, wann kommt

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