Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
Vom Netzwerk:
um behindert zu sein
    Die Gruppenform ist die falsche. In die Finkengruppe gehen nicht 24 Kinder von drei bis sechs Jahren, sondern 14 Kinder von ein bis sechs Jahren. »Wieso ist das relevant? Meine Tochter hat trotzdem Förderbedarf. Die muss gefüttert werden, die hat Epilepsie, sie ist blind, sie ist zu 100 Prozent schwerbehindert ...«
    »Der Förderbedarf wird auch nicht abgestritten, aber wir müssen uns eben an unser Regelwerk halten und dort sind U3-Gruppen nicht vorgesehen«, erklärt mir der Herr vom LVR. Geduldig, bedauernd.
    »Aber es wird doch demnächst einen Rechtsanspruch auf Kita-Plätze für unter Dreijährige geben – müssten die Regeln nicht überarbeitet werden?«
    »Sicher«, sagt er und klingt, als täte ihm das selber leid. »Aber so schnell ändert sich da nichts. Außerdem ist das eine freiwillige Fördermaßnahme. Ihr Kindergarten erhält von der Stadt in jedem Fall schon das 3,5-Fache des normalen Satzes für Ihre Tochter.«
    »Aber das reicht doch nicht.«
    »Haben Sie mal darüber nachgedacht, den Kindergarten zu wechseln?«
    Der einzige integrative Kindergarten, der uns wollte, war der städtische und dieses Angebot kam erst, als Lotta schon in ihrer Kita eingewöhnt war. Muss sie jetzt dorthin wechseln? »Sie fühlt sich in ihrer Kita wohl, wissen Sie, was das bei einem Kind bedeutet, das so gut wie nichts sieht und sich kaum rühren kann? Und jetzt soll ich sie rausnehmen?«
    »Sie haben natürlich das Recht, den Kindergarten Ihrer Tochter selbst auszusuchen.«

    Zora schreibt an den Behindertenbeauftragten der Stadt Köln. Wir legen beim LVR Einspruch ein und bitten darum, die Entscheidung zu überdenken. Ich sage: »Wenn diese Fördermaßnahme abgelehnt ist, können wir immer noch mit dem Integrationshelfer Glück haben.«
    Ich rufe wegen des Integrationshelfers beim Sozialamt an: »Dafür ist der LVR zuständig.«
    »Aber ich habe doch vor fünf Monaten mit Ihnen telefoniert und ...«
    »Ich habe Ihren Antrag an den LVR weitergeleitet.«
    Beim LVR: »Dafür ist das Sozialamt zuständig.«
    »Beim Sozialamt heißt es, Sie wären zuständig und man habe Ihnen den Antrag weitergeleitet.«
    »Hier ist keine Akte.«
    Ich schicke beiden Ämtern erneut den Antrag, verbunden mit der Bitte »entsprechend Ihrer Pflicht nach § 14 SGB IX, die Zuständigkeit rasch zu klären und wie es § 13 SGB IX vorsieht, als Leistungsträger zu kooperieren«. Muss ich jetzt auch noch Jura studieren, um Lotta helfen zu können?
    Sind wir ein Einzelfall? »Dafür muss es doch Regelungen geben«, sage ich Zora. »Vielleicht sollten wir uns mal rechtlich beraten lassen.«
    Dr. Astrid von Einem heißt die Rechtsanwältin, an die ich mich wende, spezialisiert auf Medizin- und Sozialrecht. Bei einer Organisation für Menschen mit Behinderung hält sie regelmäßig eine kostenlose Rechtsberatung ab. »Es kommt mir vor, als würden sich die Ämter gegenseitig die Zuständigkeit zuschieben«, sage ich. »Als hofften sie, dass wir aufgeben.«
    »Das ist leider nichts Neues«, sagt sie. Sie hat schon viele ähnliche Fälle erlebt, einige können außergerichtlich beigelegt werden. »Doch häufig muss man seine Rechte vor Gericht durchsetzen, weil einem keine andere Wahl gelassen wird.«
    »Vor Gericht?«
    »Das ist nur der letzte Schritt. Jetzt versuchen wir das erst mal außergerichtlich zu klären. Wenn Sie da nicht weiterkommen, sollten Sie sich nicht scheuen zu klagen, ob nun mit meiner Unterstützung oder der eines anderen Anwalts. In der Regel gibt es sogar die Möglichkeit, die Klage selbstständig ohne anwaltliche Hilfe zu erheben. Manche Ämter lassen es darauf ankommen verklagt zu werden, da haben Sie anders keine Chance.«
    Ich schreibe noch mal an beide Ämter und setze eine Frist. Ich drohe mit einem Verfahren.
    Draußen vor der Beratungsstelle komme ich an einem Plakat der Aktion Mensch vorbei. Darauf ein Junge im Rollstuhl mit einem Mädchen ohne Rollstuhl – »Inklusion heißt Schmetterlinge im Bauch«. Für uns heißt Inklusion erst mal, dass der heilpädagogische Kindergarten geschlossen wird, aber kein Amt den Kindergarten unterstützen will, der Lotta aufnimmt. Heißt Inklusion für uns, dass wir vors Sozialgericht ziehen müssen? Heißt Inklusion noch mehr kämpfen? Wenn das im Kindergarten schon so ist, wie soll es dann erst in der Schule werden?

    Drei Uhr nachts. Mit einem Ruck bin ich wach. Geräusche aus dem Kinderzimmer. Was ist das? Ist das Ben? Lotta? Ein Anfall? Ich schnelle aus dem

Weitere Kostenlose Bücher