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Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition)

Titel: Lotta Wundertüte: Unser Leben mit Bobbycar und Rollstuhl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Roth
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den Kindergarten begleitet, und einen beim LVR für die 5000 Euro. Wieder vergehen vier Wochen.
    Ich rufe bei der Deutschen Schule an, in der Stadt, in der Harry ein Jobangebot hat. Kleine Klassen, Smart Boards statt Tafeln. »Ihr Sohn kann gerne mal einen Tag schnuppern kommen.«
    »Sie haben auch einen Kindergarten, oder?«
    »Ja, sicher. Haben Sie noch ein Kind?«
    »Meine Tochter Lotta. Aber die ist ein etwas anderer Fall ...«
    Sie haben keinen Wickeltisch. Sie sind nicht barrierefrei. Es gibt mehr als ein kleines Problem. »Wollen Sie einen Termin mit unserer Leitung machen? Vielleicht können wir ja eine Ausnahme machen.«
    Will ich eine Ausnahme? Will ich Lotta in eine Institution geben, die zuerst die Hindernisse sieht? Will ich sie überhaupt schon nächstes Jahr aus dem Kindergarten nehmen, in dem sie gerade erst angekommen ist? In dem Ida mit ihr knutscht und Kofi mit ihr bastelt?
    Ich telefoniere auch noch mit der International School. Motto: »Everyone included, everyone challenged, everyone successful« Inklusion mit Exzellenzanspruch. Unterrichtssprache: Englisch. Lotta spricht ihre eigene Form des Deutschen, an der Übersetzung von »Oi, oi, oi« arbeite ich noch. Sie versteht sehr klar, wenn ich sage: »Jetzt geht es ins Bett.« Oder: »Jetzt mache ich dir Milchbrei.« Kann ich sie in einen englischsprachigen Kindergarten geben? Ist die Antwort auf diese Frage sowieso egal, wenn man vielleicht nie sprechen wird? Oder umso entscheidender?

    »Komm mal schnell!« Wochenende. Ich liege neben Lotta auf dem Sitzsack. Harry ist noch im Bad, Ben spielt auf dem Platz vor dem Haus Fußball mit den Nachbarskindern. »Harry, komm mal!«
    Er poltert die Treppe runter. Er kommt hereingestürzt, sieht uns und sagt: »Erschreck mich doch nicht so.«
    »Sie hat mir gerade in die Augen gesehen.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, schau mal.« Lotta schüttelt ihren Kopf und zeigt ihre Grübchen.
    »Aber das kann gar nicht sein, oder?«
    Bei der Augenärztin. »Schön«, sagt sie. »Sie hat Fortschritte gemacht.«
    Lotta versucht zu fokussieren. Sie will den Stern wieder sehen. Sie braucht keine Brille mehr. Hat sie mir wirklich in die Augen gesehen?
    »Das kann ich Ihnen nicht beantworten«, sagt die Ärztin. »Sie kennen Ihr Kind am besten.«

    »Jetzt ist Lotta ein Kindergartenkind«, sagt Ben und zeigt auf unseren alten Fahrradanhänger in der Garage. »Jetzt kann sie auch damit fahren.«
    »Fahr allein mit Papa«, sage ich. »Eine Männertour.«
    Er schüttelt den Kopf und verschränkt die Arme. Ich recherchiere im Internet. Ich finde Fotos von umgebauten Kindersitzen hinten auf Gepäckträgern. »Wie schön, dass ihr euch dieses Hobby nicht habt nehmen lassen«, lese ich als Kommentar darunter. Stefan Augst, unser Reha-Techniker, schüttelt den Kopf, als ich ihn darauf anspreche. »Das wird mit Lotta nicht funktionieren. Darin hat sie nicht genug Halt.«
    Wir können ein Loch in Lottas Kopf verschließen. Wir können ihre Anfälle in den Griff kriegen. Wir können anscheinend nicht zu viert Fahrrad fahren.
    »Aber ...«, sagt er. »Ich habe da eine Idee.« Per E-Mail schickt er mir Infos zu der Cross-Variante unseres Reha-Buggys. Unser Sitz lässt sich abnehmen und auf ein neues Untergestell montieren: einen Fahrradanhänger. Zwei große Räder, eine Deichsel, ein Überrollbügel. Hat die Anmutung einer Rikscha und wurde garantiert nicht von einer Elternzeitschrift getestet. Er ist zugelassen für die Nutzung im Straßenverkehr und Lotta hätte darin genauso viel Halt wie in ihrem Reha-Buggy. »Ich weiß allerdings nicht, ob sie das mitmacht«, sagt Herr Augst. »Viele Kinder reagieren sensibel auf Erschütterung.« Ich denke an das Jaulen bei jeder Bodenwelle und schüttele den Kopf. »Und er ist nicht billig.« 2500 Euro. »Dafür kriegen Sie auch ein drittes Rad, dann können Sie mit dem Wagen joggen gehen.«
    Ist es zynisch, mit einem Kind im Wagen joggen zu gehen, das wohl nie laufen wird? Wird Lotta mitmachen? Wird es unsere Krankenkasse? Ich schreibe einen Antrag und schicke den Kostenvoranschlag ein.

    Lotta geht seit vier Monaten in den Kindergarten. Ich warte immer noch auf einen Bescheid vom Sozialamt. Im Briefkasten finde ich einen Brief des LVR. Die Fördermaßnahme »Einzelintegration in den Regelkindergarten«, die pro Jahr 5000 Euro zur Aufstockung des Personals bedeutet – abgelehnt. »Und jetzt?«, frage ich Zora.

24

»Willst du noch ein Geschwisterchen?«
Ein Piratenschiff und die beste Zeit,

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