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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Sie nennen ihn ohne Erläuterung. Die Herzlieb – wer ist das?«
    »Verzeihung! Es ist die Pflegetochter der Frommanns, bei denen der Vater zu Jena viel aus- und einging zur Zeit, als er an den ›Wahlverwandtschaften‹ schrieb.«
    »Wahrhaftig«, sagte Charlotte, »nun kommt es mir vor, als hätte ich auch den Namen schon nennen hören. Die ›Wahlverwandtschaften‹! Ein Werk von der zartesten Bemerkungsgabe. Man kann nur bedauern, daß es ein solches weltbewegendes Aufsehen denn doch nicht gemacht hat wie Werthers Leiden. Ich wollte Sie nicht unterbrechen. Wie ging's also weiter mit dieser Reise?«
    »Sehr heiter, sehr glücklich, wie ich schon sagte. Sie brachte eine wahre Verjüngung für meinen Vater mit sich, und es war, als ahndete er's, da er sie antrat. Er hatte heitere Tage bei Brentano's zu Winkel am Rhein, bei Franz Brentano –«
    »Ich weiß. Ein Stiefsohn der Maxi. Von den fünf Kindern eines, die sie aus des guten alten Peter Brentano erster Ehe überkommen. Ich bin im Bilde. Man sagt, daß sie ausnehmend hübsche schwarze Augen hatte; saß aber viel allein, die Arme, in ihres Mannes großem, altem Kaufmannshaus. Es freut mich zu hören, daß ihr Sohn Franz mit Goethen auf einem besseren Fuße steht, als damals ihr Mann.«
    »Auf einem so guten wie seine Schwester Bettina in Frankfurt, die sich um Vaters Lebenserinnerungen so sehr verdient gemacht, indem sie tagtäglich die selige Großmutter auspreßte nach Einzelheiten aus seiner Jugend und alles für ihn notierte. Es ist ein Trost, daß doch auf viele Bessere unter der neuen Generation die Liebe und Ehrfurcht für ihn sich vererbt hat, bei allen wunderlichen Veränderungen, die sonst in ihren Gesinnungen vor sich gegangen.«
    {242} Sie mußte lächeln über die distanzierte Art, in der er der eigenen Generation gedachte; aber er übersah es.
    »In Frankfurt, das zweite Mal«, fuhr er fort, »logierte er bei Schlossers – der Schöffin Schlosser, müssen Sie wissen, einer Schwester Georgs, der meine arme Tante Cornelia zur Frau hatte, und ihren Söhnen Fritz und Christian, braven, gemütvollen Jungen, die gute Beispiele sind für meine Bemerkung: der absurden Zeit unterworfen und heillos romantisch – sie führten am liebsten das Mittelalter wieder herauf, alsob's keine Auflebung gegeben hätte, und Christian ist schon in die Arme der katholischen Kirche zurückgekehrt, die denn auch wohl auf Fritz nebst Ehefrau nicht lange mehr wird zu warten haben. Allein die überlieferte Liebe und Bewunderung für Vater hat unter diesen modischen Schwächen nie gelitten, und das mag der Grund denn sein, weshalb er sie ihnen nachsieht und sich recht behaglich fühlte bei dem frommen Völkchen.«
    »Ein Geist wie er«, sagte Charlotte, »ist des Verständnisses fähig für jede Gesinnung, wenn sie nur einer tüchtigen Menschlichkeit angehört.«
    »Vollkommen«, erwiderte August mit einer Verneigung. »Er war aber, glaube ich«, setzte er hinzu, »dann doch froh, als er auf die Gerbermühle, nahe Frankfurt, am Ober-Main, den Landsitz der Willemers übersiedelte.«
    »O, richtig! Dort war es, wo meine Söhne ihn aufsuchten und er endlich ihre Bekanntschaft machte, wobei sie viel Güte von ihm erfuhren.«
    »Ich glaub' es. September 14 kam er zuerst dorthin und wieder im nächsten Monat von Heidelberg. In die knappe Zwischenzeit aber war das Ereignis von Geheimrat Willemers Heirat mit Marianne Jung, seinem Pflegekinde, gefallen.«
    »Das klingt nach einem Roman.«
    »Es war dergleichen. Der Geheimrat, verwittibt und Vater zweier noch kindlicher Töchter, ein vortrefflicher Mann, {243} Volkswirt, Pädagog und Politiker, ein Philanthrop, ein Dichter sogar und tätiger Freund der dramatischen Muse, – nun denn, er hatte schon zehn Jahre und länger zuvor die junge Marianne, ein Linzer Theaterkind, zu sich ins Haus genommen und zwar, um sie vor den Gefahren der Bühne zu bewahren. Es war eine philanthropische Handlung. Mit den jüngeren Töchtern des Hauses bildet die braunlockige Sechszehnjährige sich reizend aus; sie singt zum Entzücken, sie weiß mit Anmut und Energie eine Soirée zu leiten, und wie sich's so fügt, aus dem Philanthropen, dem Pädagogen wird unversehens ein Liebhaber.«
    »Nur menschlich. Auch schließt das eine das andre nicht aus.«
    »Wer sagt das. Immerhin ließen die häuslichen Verhältnisse zu wünschen übrig, und wer weiß, wie lang sich das hingezogen hätte ohne Vaters Dazwischenkunft und seinen ordnenden Einfluß, auf den man

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