Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
es ganz offenbar zurückführen muß, daß, als er wiederkam, Anfang Oktober, von Heidelberg, der Pflegevater das Pflegekind nur ein paar Tage zuvor fast Hals über Kopf zu seiner Gattin gemacht hatte.«
Sie sah ihn groß an und er sie auch. Ihr erhitztes und ermüdetes Gesicht war etwas ins Unsicher-Schmerzliche verzogen, als sie sagte:
»Sie scheinen durchblicken lassen zu wollen, daß diese Veränderung der Situation etwas wie eine Enttäuschung für Ihren Vater bedeutet hätte?«
»Im Geringsten nicht!« antwortete er erstaunt. »Ganz im Gegenteil konnte sich auf dem Hintergrund der so geordneten, bereinigten und geklärten Verhältnisse sein Behagen als Gast in diesem schönen Erdenwinkel erst recht entwickeln. Da war ein prächtiger Altan, ein schattiger Garten, ein naher Forst, ein erquickender Blick auf Wasser und Gebirge, da war freieste, freigebigste Gastfreundschaft. Vater hat sich selten so glücklich gefühlt. Noch Monate später schwärmte er von den milden, {244} würzigen Abenden, wenn sich der breite Mainstrom im Abendschein rötete und die junge Wirtin ihm seine Mignon, sein Mondlied, seine Bajadere sang. Auch können Sie sich das Vergnügen denken, womit der neuschaffene Gatte auf die Freundschaft blickte, deren die kleine Frau, die er entdeckt und der Gesellschaft geschenkt hatte, da gewürdigt wurde – er blickte darauf nach allem, was ich mir vorstelle, mit einem heiteren Stolze, der eben ohne die vorangegangene Ordnung und Sicherung der Verhältnisse nicht möglich gewesen wäre. Wovon besonders der Vater ein Preisens zu machen wußte, das war der Abend des 18. Oktober, an dem man gemeinsam von Willemers Aussichtsturm die Höhenfeuer zum Jahresgedenken der Schlacht bei Leipzig genoß.«
»Die Freude daran«, sagte Charlotte, »widerlegt manches, mein lieber Herr Kammer-Rat, was man mir wohl gelegentlich über Ihres Vaters Mangel an vaterländischer Wärme hat hinterbringen wollen. Man vermutete an dem hohen Jahrestage nicht, daß wenige Monate später Napoléon von Elba entweichen und die Welt in neuen Trouble stürzen würde.«
»Wodurch eben«, nickte August, »wodurch Vaters Sommerpläne fürs nächste Jahr drohten über den Haufen geworfen zu werden. Er sann diesen ganzen Winter nichts anderes und sprach von nichts anderem, als daß er, wo irgend möglich, die Reise in jene lieblichen Gegenden erneuern wolle. Auch fand alle Welt, daß Wiesbaden ihm besser anschlage als Karlsbad. Seit langem hatte er keinen Weimarer Winter so heiter hingenommen. Bringt man vier Wochen in Abzug, während derer ein freilich heftiger Katarrh ihn plagte, so befand er sich prächtig und jugendlich all die Zeit, auch deswegen wohl, weil schon von längerer Hand her, schon seit dem Elendsjahre 13, ein neues Feld des Studiums und der Dichtung sich ihm eröffnet hatte, nämlich die orientalische und namentlich die persische Poesie, worein er sich auf seine produktive und nachbildende {245} Art immer mehr vertiefte, sodaß eine Menge Sprüche und Lieder höchst merkwürdigen Geschmacks, wie er sie noch nie geschrieben, darunter viele, die vorgeben, von einem Dichter des Ostens, Hatem, an eine Schöne namens Suleika gerichtet zu sein, sich in seiner Mappe versammelten.«
»Eine gute Nachricht, Herr Kammer-Rat! Der Literaturfreund muß sie freudig begrüßen – und mit Bewunderung für ein Ausharren, eine Erneuerungsfähigkeit der hervorbringenden Kräfte, die als ein rechtes Gnadengeschenk des Himmels anzusprechen. Als Frau, als Mutter hat man allen Grund, mit Neid – oder doch eben mit Bewunderung – auf eine soviel größere Beständigkeit des Männlichen, auf die Ausdauer zu blicken, mit der geistige Fruchtbarkeit gegen die weiblich-kreatürliche im Vorteil ist. Wenn ich denke – es sind nicht weniger als einundzwanzig Jahre her, daß ich meinem jüngsten Kinde (es war Fritzchen, mein achter Sohn) das Leben schenkte.«
»Vater hat mir vertraut«, sagte August, »daß der Name des weinfrohen Dichters, in dessen Maske er diese Lieder verfaßt, – Hatem, – ›der reichlich Gebende und Nehmende‹ bedeutet. Auch Sie, Frau Hofrätin, wenn ich so anmerken darf, sind eine reichlich Gebende gewesen.«
»Es ist nur eben«, sagte sie, »schon so wehmütig lange her; indeß Ihr Vater – Aber fahren Sie fort! Der Kriegsgott wollte Hatemen einen Strich durch die Rechnung machen?«
»Er wurde aus dem Felde geschlagen«, versetzte August. »Er wurde von einem anderen Gotte besiegt, sodaß nach einigem
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