Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ihn immer verachtet und ihn mir nach Kräften ferngehalten, – ich kann wohl sagen: es ist mir unschwer gelungen. Neidisch zu sein auf das Los eines andern – welche Thorheit! Alsob wir nicht alle das Menschliche auszubaden hätten und alsob es nicht Irrtum und Täuschung wäre, andern ihr Schicksal zu neiden. Dazu ist es ein erbärmlich untüchtig Gefühl. Unseres eigenen Schicksals wackerer Schmied sollen wir sein und uns nicht entnerven in müßiger Scheelsucht auf andre.«
August nahm mit verschämtem Lächeln und einer kleinen Verbeugung zum Dank für den mütterlichen Dienst, den sie ihm geleistet, die aufgelöste Hand wieder an sich.
»Frau Hofrätin haben recht«, sagte er. »Mutter hat genug gelitten. Friede sei mit ihr. Aber es ist garnicht nur ihretwegen, daß ich mich erbittere. Es ist auch um Vaters willen. Nun ist ja alles vorüber, wie eben das Leben vergeht und alles zur Ruhe kommt. Der Anstoß ist endlich unter der Erde. Aber was für ein Anstoß war es einmal und blieb's immerdar für die Gerechten, {237} die Pharisäer und Sittenwächter, und wie haben sie Vater gehechelt und ihm moralisch am Zeuge geflickt, weil er's gewagt, gegen den Stachel zu löken und gegen den Sittenkodex und hatte das einfache Mädchen aus dem Volke zu sich genommen und vor ihren Augen mit ihr gelebt! Wie haben sie's auch mich fühlen lassen, wo sie konnten, und mich schief angesehen mit Spott und Achselzucken und tadelndem Erbarmen, der ich dieser Freiheit mein Dasein verdankte! Alsob ein solcher Mann, wie der Vater, nicht das Recht hätte, nach eigenem Gesetz zu leben und nach dem klassischen Grundsatz der sittlichen Autonomie … Aber die wollten sie ihm nicht gelten lassen, die christlichen Patrioten und tugendsamen Aufklärer, und jammerten über den Widerstreit zwischen Genie und Moralität, wo doch das Gesetz der freien und autonomen Schönheit eine Lebenssache ist und nicht eine Sache der Kunst nur, – das ging ihnen nicht bei und schnackten von Diskrepanzen und schlechtem Beispiel. Fraubasereien! Und haben sie denn das Genie und den Dichter gelten lassen, wenn nicht die Person? Bewahre Gott! Da war der ›Meister‹ ein Hurennest und die Römischen Elegien ein Sumpf der laxen Moral und der ›Gott und die Bajadere‹ sowohl wie die ›Braut von Korinth‹ priapischer Unflat, – was Wunder denn auch, da schon des Werthers Leiden der verderblichste Immoralismus gewesen waren –«
»Es ist mir neu, Herr Kammer-Rat, daß man sich unterfangen haben sollte –«
»Man hat, Frau Hofrätin, man hat. Und bei den ›Wahlverwandtschaften‹ wieder, auch da hat man sich unterfangen und sie ein liederlich Werk betitelt. Da kennen Sie wahrlich die Menschen schlecht, wenn Sie denken, die unterfingen sich nicht. Und wenn's nur die Leute gewesen wären, die blöde Menge. Aber alles, was gegen das Klassische war und gegen die aesthetische Autonomie, der selige Klopstock, der selige Herder, und Bürger und Stolberg und Nicolai und wie sie heißen, {238} sie alle haben dem Vater moralisch am Zeuge geflickt nach Werk und Wandel, und haben scheel geblickt auf Mutter von wegen der Selbstgesetzlichkeit seines Lebens mit ihr. Und nicht nur Herder, sein alter Freund, der Präsident des Consistorii, hat das getan, obgleich er mich konfirmiert hat, sondern der selige Schiller sogar, der doch mit Vater die Xenien herausgegeben, – auch er, das weiß ich recht wohl, hat ein Gesicht gemacht über Mutter und den Vater heimlich getadelt um ihretwillen, – wohl weil er nicht auch ein adlig Fräulein genommen, wie Schiller, sondern war unter seinen Stand gegangen. Unter seinen Stand! Alsob ein solcher Mann, wie mein Vater, überhaupt einen Stand hätte, da er doch einzig ist! Geistig muß solch ein Mann auf jeden Fall unter seinen Stand gehen, – warum dann nicht auch gleich gesellschaftlich? Und Schiller war doch selbst der Erste, den Vorzug des Verdienstadels zu behaupten vor dem Geburtsadel und hat sich eifriger darin hervorgetan, als mein Vater. Warum verzog er dann den Mund über Mutter, die sich gar wohl den Verdienstadel erworben hat um Vaters Wohlergehen!«
»Mein lieber Herr Kammer-Rat«, sagte Charlotte, »ich kann Ihnen menschlich vollkommen folgen, obgleich ich besser tue, zu gestehen, daß ich nicht weiß, was das ist, die aesthetische Autonomie, und daß ich Bedenken trage, durch eine übereilte Zustimmung zu diesem mir nicht ganz klaren Dinge in Widerstreit mit so würdigen Männern wie Klopstock, Herder und
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