Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Bürger oder gar mit Moral und Patriotismus zu geraten. Das möchte ich nicht. Aber ich denke, diese Vorsicht braucht mich nicht zu hindern, ganz und gar auf Ihrer Seite zu sein gegen alle, die unserm lieben Geheimen Rat etwas am Zeuge flicken und seinem Ruhm etwas anhaben möchten als großer Dichter des Vaterlandes.«
Er hatte nicht zugehört. Seine dunklen Augen, um ihre Schönheit und Weichheit gebracht durch die erneute Wut, die {239} sie quellend vortrieb, gingen rollend von einer Seite zur anderen.
»Und ist nicht alles aufs beste und würdigste geregelt worden?« fuhr er mit gepreßter Stimme fort. »Hat Vater die Mutter nicht zum Altar geführt und sie zu seiner gesetzlichen Frau gemacht, und war ich nicht schon vorher durch allerhöchstes Reskript legitimiert und zum rechten Sohn von Vaters Verdienstadel erklärt worden? Aber das ist es eben, daß die vom Geburtsadel im Grunde vor Animosität bersten gegen den Verdienstadel, und darum nimmt denn wohl so ein reitender Laffe die erste, schlechteste Gelegenheit wahr, mir freche Sottisen zu machen mit Anspielungen auf Mutter, nur weil ich aus persuasorischen Gründen und in vollem Einverständnis mit Vater nicht habe mögen zu Felde ziehen gegen den großen Monarchen Europa's. Für solche Frechheit der bloßen Geburt und Natur und des blauen Blutes gegen den Adel des Genies ist Arrest eine viel zu gelinde Strafe. Da müßte der Büttel her, der Profoß, da müßte das glühende Eisen her …«
Außer sich, hochrot im Gesicht, hämmerte er mit der geballten Faust auf sein Knie.
»Bester Herr Kammer-Rat«, sagte Charlotte beschwichtigend wie vorhin und beugte sich zu ihm, wich aber sogleich wieder etwas zurück, da sie den Duft von Wein und Eau de Cologne empfing, der sich durch seine Rage verstärkt zu haben schien. Sie wartete ab, daß die zitternde Faust wieder einmal unten lag und legte sanft ihre Hand im fingerfreien Halbhandschuh darauf. »Wer wird so hitzig sein? Weiß ich doch kaum, wovon Sie reden, aber fast scheint mir, als verlören wir uns in Farsarellen und Grillen. Wir sind abgekommen. Oder vielmehr: Sie sind es. Denn ich halte im Stillen noch immer bei Ihrer Erwähnung eines Unfalls, den der liebe Geheime Rat erlitten haben – oder dem er vielmehr entronnen sein soll, wie ich Sie zu verstehen glaubte; denn hätte ich es nicht so verstanden, so hätte ich schon längst auf den Punkt insistiert. Was war es also damit?«
{240} Er schnob noch ein paar mal und lächelte über ihre Güte.
»Mit dem Unfall?« fragte er. »O, nichts, ich kann Sie vollkommen beruhigen. Ein Reise-Accident … Es war so: Mein Vater wußte diesen Sommer garnicht recht, wohin. Er scheint der böhmischen Bäder müde, 1813, im allertraurigsten Jahr, war er zum letztenmal dort, in Töplitz, seither nicht mehr, was wohl zu bedauern, – die häusliche Trinkkur ist doch kein Ersatz, und Berka und Tennstädt sind es wohl auch nicht. Wahrscheinlich wäre Karlsbad besser auch gegen den Rheumatism in seinem Arm, als der Tennstädter Schwefel, den er eben wieder benutzt hat. Aber er ist irre geworden am Sprudel von Karlsbad, weil er dort anno 12 an Ort und Stelle einen Anfall von Nierenkoliken bekam, den schwersten seit langer Zeit, das hat er verübelt. So hat er denn Wiesbaden entdeckt: Sommer 14 fuhr er zum ersten Mal in die Rhein- Main- und Neckargegenden, die Reise beglückte und erquickte ihn ganz über Erwarten. Seit vielen Jahren war er zum ersten Mal wieder in seiner Vaterstadt –«
»Ich weiß«, nickte Charlotte. »Wie ist es nicht zu bedauern, daß er damals seine liebe, unvergeßliche Mutter, unsere gute Frau Rat, nicht mehr am Leben fand! Mir ist auch bekannt, daß die Frankfurter Oberpostamtszeitung einen gediegenen Artikel einrückte zu Ehren des großen Sohnes der Stadt.«
»Gewiß! Will sagen, das war, als er von Wiesbaden wiederkam, wo er mit Zelter und Oberbergrat Cramer eine gute Zeit verbracht. Er hatte die Rochus-Kapelle besucht von dort aus, für die er dann hier bei uns ein heiteres Altargemälde entwarf: – der heilige Rochus, wie er als junger Pilger das Schloß seiner Väter verläßt und liebreich sein Gut und Gold an Kinder verteilt. Es ist gar zart und gemütlich. Professor Meyer und unsere Freundin Luise Seidler von Jena haben es ausgeführt.«
»Eine Künstlerin von Profession?«
»Ganz recht. Dem Frommann'schen Hause nahe stehend, {241} dem Hause des Buchhändlers, und nahe befreundet mit Minna Herzlieb –«
»Ein zärtlicher Name.
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