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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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erlangen. Der Herzog von Wellington hatte nicht verfehlt, die seine zu spenden. Der Wiener Kongreß hatte glänzende Ausbeute gegeben. Die große Schnelligkeit, mit der Miß Rose arbeitete, erlaubte es dem beschäftigtsten Mann, ihr zwischenein zu willfahren. Fürst Metternich, Herr von Talleyrand, Lord Castlereagh, Herr von Hardenberg und mehrere andere europäische Unterhändler hatten es getan. Zar Alexander hatte sein backenbärtiges, mit einer stark skurrilen Nase geschmücktes Bildnis wahrscheinlich darum durch Unterschrift anerkannt, weil die Künstlerin es verstanden hatte, seinem um die Glatze stehenden Schläfenhaar das Ansehen eines offenen Lorbeerkranzes zu geben. Die Portraits der Frau Rahel v. Varnhagen, Professor Schellings und des Fürsten Blücher von Wahlstatt bekundeten, daß sie in Berlin ihre Zeit nicht verloren hatte.
    Sie hatte sie überall wahrgenommen. Die Leinendeckel ihrer Mappe umschlossen noch manche andere Trophäe, die sie die verblüffte Charlotte unter lebhaften Kommentaren sehen ließ. Jetzt war sie nach Weimar gekommen, angelockt von dem Ruf dieser Stadt, »of this nice little place«, als des Mittelpunktes der weltberühmten deutschen Geisteskultur, – die für sie ein Wechselplatz jagdbarer Celebritäten war. Sie bedauerte, recht spät hierher gefunden zu haben. Old Wieland sowohl wie Herder, den sie einen great preacher nannte, wie auch the man who wrote the »Räuber«, waren ihr durch den Tod entschlüpft. Immerhin lebten ihren Notizen zufolge noch Schriftsteller am Ort, auf die zu pürschen sich lohnte, wie die Herren Falk und {45} Schütze. Schillers Witwe hatte sie tatsächlich schon in der Mappe, ebenso Madame Schopenhauer und zwei oder drei namhaftere Actricen des Hoftheaters, die Demoiselles Engels und Lortzing. Bis zu Frau von Heygendorf, eigentlich Jagemann, war sie noch nicht vorgedrungen, verfolgte aber dies Ziel umso eifriger, als sie durch die schöne Favoritin den Hof zu erobern hoffte – und umso eher hoffen durfte, da sie Verbindungsfäden zur Großfürstin-Erbprinzessin schon angeknüpft hatte. Was Goethen betraf, dessen Namen sie, wie übrigens auch die meisten anderen, so fürchterlich aussprach, daß Charlotte lange nicht begriff, wen sie meinte, so war sie ihm auf der Spur, ohne ihn schon vor den Lauf bekommen zu haben. Die Nachricht, daß das notorische Modell zur Heldin seines berühmten Jugend-Romans sich seit heute Morgen in der Stadt, in ihrem Hotel und nahezu in Zimmernachbarschaft mit ihr befinde, hatte sie elektrisiert – nicht nur wegen des Gegenstandes selbst, sondern weil sie durch diese Bekanntschaft, wie sie ganz offen erklärte, zwei, ja drei Fliegen auf einmal zu klatschen gedachte: Werthers Lotte würde ihr zweifellos den Weg ebnen zum Autor des »Faust«; diesen aber würde es ein Wort kosten, ihr die Thür Frau Charlottens von Stein zu öffnen, über deren Beziehungen zur Gestalt der Iphigenie sich zur Gedächtnisstütze in ihrem Notizbüchlein, Abteilung German literature and philosophy, einiges vorfand, was sie der gegenwärtigen namensgleichen Schwester im Reiche der Urbilder mit größter Einfalt zum Besten gab.
    Es ging nun so, daß Charlotte wie sie da war, in ihrem weißen Pudermantel, mit dieser Rose Cuzzle nicht, wie allenfalls vorgesehen, einige Minuten, sondern drei Viertelstunden verbrachte. Heiter eingenommen von dem naiven Reiz, der lustigen Tatkraft der kleinen Person, beeindruckt von all der Größe, deren sie habhaft zu werden gewußt hatte und deren Spur sie aufweisen konnte, ungewiß, ob sie den Einschlag von {46} Albernheit wahr haben sollte, den sie diesem Kunstsport zuzuschreiben versucht war, bestärkt in dem guten Willen, darüber hinwegzusehen, durch die schmeichelhafte Erfahrung, selbst zu der großen Welt gezählt zu werden, deren Hauch ihr aus Miß Cuzzles Jagdbuch entgegenwehte, und sich in den Ruhmesreigen seiner Blätter aufgenommen zu sehen, – kurzum, ein Opfer ihrer Leutseligkeit, saß sie lächelnd in einem der beiden mit Cretonne überzogenen Fauteuils des Gasthofzimmers und hörte dem Geplauder der Reisekünstlerin zu, die in dem anderen saß und sie zeichnete.
    Sie tat es mit geräuschvoll-virtuosen Strichen, die nicht immer so treffend schienen wie ungeniert, da sie sie öfters, übrigens ohne Nervosität, mit einem großen Radiergummi wieder aufhob. Dem leichten Schielen ihrer Augen, die nicht bei dem waren, was sie redete, war angenehm zu begegnen, erfreulich und gesund war der Anblick ihrer

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