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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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crayonnieren … Sie sehen meine Bedrängnis. Ich danke Ihnen aufrichtig für das angenehme Intermezzo unserer Begegnung, aber was etwa an Ihrem Dessin noch fehlt, müssen Sie unbedingt nach dem Gedächtnis …«
    Ihre Mahnung war unnötig, Miß Rose erklärte mit lachenden Zähnen fertig zu sein.
    »I'm quite ready«, sagte sie, indem sie ihr Werk mit ausgestrecktem Arm vor sich hinhielt und es mit zugekniffenen Augen betrachtete. »I think, I did it well. Wollen Sie sehen?«
    Vielmehr war es Mager, der das wollte und angelegentlich herantrat.
    »Ein höchst schätzbares Blatt«, urteilte er mit der Miene des Connoisseurs. »Und ein Dokument von bleibender Bedeutung.«
    Charlotte, die sich pressiert im Zimmer nach ihrer Garderobe umsah, hatte kaum ein Auge für das Entstandene.
    »Ja, ja, recht hübsch!« sagte sie. »Bin ich das? O doch, es hat wohl eine gewisse Verwandtschaft. Meine Unterschrift? Hier denn – nur rasch!«
    {50} Und mit dem Kohlestift leistete sie im Stehen die Signatur, die an Flüchtigkeit der napoleonischen nicht nachstand. Sie bedankte mit eiligem Kopfnicken das Abschiedskompliment der Irländerin. Mager beauftragte sie, Herrn Dr. Riemer zu ersuchen, er möge sich im Sprechzimmer einige Augenblicke gedulden. –
    Als sie, zum Ausgehen fertig angekleidet, – denn ausdrücklich hatte sie Straßentoilette gemacht, mit Hut und Mantille, Ridikül und Schirm – ihr Zimmer verließ, fand sie den Kellner schon auf dem Gange wartend. Er geleitete sie die Treppe hinab und bot ihr im unteren Stockwerk auf seine gewohnte Art an seiner Person vorbei Eintritt in das Unterhaltungszimmer, wo sich bei ihrem Erscheinen der Besucher von einem Stuhle erhob, neben den er seinen hohen Hut gestellt.
    Dr. Riemer war ein Mann Anfang Vierzig, von mäßiger Statur, mit noch vollem und braunem, nur leicht mêliertem Haar, das strähnig in die Schläfen gebürstet war, weit aus einander und flach liegenden, ja etwas hervorquellenden Augen, einer geraden, fleischigen Nase und weichem Munde, um den ein etwas verdrießlicher, gleichsam maulender Zug lag. Er trug einen braunen Überrock, dessen dick aufliegender Kragen ihm hoch im Nacken stand und vorn die Pikeeweste, das gekreuzte Halstuch sehen ließ. Seine weiße, am Zeigefinger mit einem Siegelring geschmückte Hand hielt den Elfenbeinknopf eines Spazierstabes mit Ledertroddel. Der Kopf stand ihm etwas schief.
    »Ihr Diener, Frau Hofrätin«, sagte er sich verneigend mit sonorer und gaumiger Stimme. »Ich habe mir wohl den Vorwurf eines schwer verzeihlichen Mangels an Geduld und Rücksicht zu machen, wenn ich sogleich bei Ihnen eindringe. Es an Selbstbeherrschung fehlen zu lassen, will ohne Zweifel dem Jugendbildner am wenigsten anstehen. Dennoch habe ich mich damit abfinden müssen, daß diesem dann und wann der {51} Poet in mir ein leidenschaftliches Schnippchen schlägt, und so hat das Gerücht Ihrer Anwesenheit, das die Stadt durchläuft, den unwiderstehlichen Wunsch in mir aufgeregt, sogleich einer Frau meine Huldigung darzubringen und sie in unseren Mauern willkommen zu heißen, deren Namen mit unserer vaterländischen Geistesgeschichte – ich möchte sagen: mit der Bildung unserer Herzen so eng verknüpft ist.«
    »Herr Doktor«, antwortete Charlotte, indem sie seine Verbeugung nicht ohne zeremonielle Ausführlichkeit erwiderte, »die Aufmerksamkeit eines Mannes von Ihren Verdiensten kann nicht verfehlen uns angenehm zu sein.«
    Daß diese Verdienste ihr ziemlich dunkel waren, schuf ihr einige gesellschaftliche Beunruhigung. Sie war froh, daran erinnert zu werden, daß er Erzieher – und zu erfahren, daß er auch Dichter war; zugleich aber erregten diese Andeutungen ihr etwas wie Erstaunen oder selbst Ungeduld, da ihr schien, als würde damit des Mannes eigentlichster und einzig bedenkenswerter Eigenschaft, dem hohen Dienst an jener Stelle zu nahe getreten. Sie spürte sofort, daß er Gewicht darauf legte, man möge Wert und Würde seiner Person sich nicht in dieser Eigenschaft erschöpfen sehen, – was ihr grillenhaft vorkam. Zum mindesten mußte er begreifen, daß seine Bedeutung für sie allein in der Frage beruhte, ob er als Träger einer Nachricht von dort komme oder nicht. Sie war entschlossen, das Gespräch aufs Sachlichste, auf die Entscheidung dieser Frage abzukürzen – und zufrieden, daß ihr Anzug über diese Absicht keinen Zweifel ließ. Sie fuhr fort:
    »Haben Sie Dank für das, was Sie Ihre Ungeduld nennen, und was ich als einen sehr

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