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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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sinkend, sich verdüsternd, sich verklärend, – so hat Brahma dies gewollt. Vor Brahma steht die Grausenhafte, mahnt ihn freundlich, schilt ihn wütend aus verworrenem, geheimnisüberlastetem Busen, – aller leidenden Creatur kommts bei des Höchsten Erbarmen zugute.
    Ich denke, Brahma fürchtet das Weib, denn ich fürcht es, – {356} wie das Gewissen fürcht ich ihr freundlich-wütendes Vor-mir-stehen, ihr weises Wollen und wildes Handeln, und so fürcht ich das Gedicht, verschiebs durch Jahrzehnte, wissend doch, daß ichs einmal werd machen müssen. Sollt das Geburtstagscarmen manipulieren, die Italienische Reise weiter zusammenstellen; will aber dies Alleinsein am Pult und die gute Madeira-Wärme zu kurios-geheimerem Werke nutzen. Schöpft des Dichters reine Hand –
    – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
    »Wer ist's?«
    »Einen recht schönen Tag, Vater.«
    »August, du. Nun, sei willkommen.«
    »Stör' ich? Ich will nicht hoffen. Du packst so geschwinde weg.«
    »Ja, Kind, was heißt stören. Störung ist alles. Kommt drauf an, ob die Störung dem Menschen lieb oder leid ist.«
    »Eben das ist die Frage auch hier. Und ich schwanke in ihrer Beantwortung, denn nicht mir muß ich sie stellen, sondern dem, was ich bringe. Ohne das wär' ich zu zweifelhafter Stunde nicht eingebrochen.«
    »Ich freue mich, dich zu sehen, was du auch bringst. Was bringst du denn?«
    »Da ich denn da bin, ist mein Erstes: Hast du gut geschlafen?«
    »Dank' dir, bin soweit erquickt.«
    »Hat dir das Frühstück geschmeckt?«
    »Ganz kräftig. Du frägst ja wie Rehbein.«
    »Laß, ich frage für eine ganze Welt. Verzeih' auch, was hattest du gerade Interessantes vor? War's die Lebensgeschichte?«
    »Nicht akkurat. Lebensgeschichte ist's immer. Aber was bringst du? Muß ich dir's extorquieren?«
    »Es ist Besuch gekommen, Vater. Ja. Besuch von auswärts und aus der Vorzeit. Abgestiegen im Elephanten. Ich hört' es schon, bevor das Billet kam. In der Stadt ist der Trouble groß. Eine alte Bekannte.«
    {357} »Bekannte? Alt? Mach nicht solche Anstalten!«
    »Hier ist das Billet.«
    »Weimar, den zweiundzwanzigsten – Wieder in ein Antlitz zu blicken – So bedeutend geworden – Geborene – Hm. Hm, hm. Kurios. Nenn' ich eine recht kuriose Vorfallenheit. Du nicht auch? Aber laß einmal, ich hab auch was für dich, worüber du dich wundern und wozu du mir gratulieren sollst. Gib nur Acht! – Hier, wie gefällt dir's?«
    »Ah!«
    »Gelt, da machst du große Augen. Und die soll man machen. Ist recht etwas zum Große Augen machen, eine Sache des Lichtes, des Schauens. Hab's aus Frankfurt geschenkt bekommen für meine Sammlung. Gleichzeitig kamen einige Mineralien vom Westerwald und vom Rhein. Aber dies ist das Schönste. Wofür hältst du's?«
    »Ein Kristall –«
    »Das will ich meinen! Ist ein Hyalit, ein Glasopal, aber ein Prachtexemplar nach Größe und Ungetrübtheit. Hast du so ein Stück schon gesehn? Ich kann's nicht genug angucke und nicht ohne Sinnen. Das ist Licht, das ist Präzision, das ist Klarheit, was? Das ist ein Kunstwerk oder vielmehr ein Werk und Offenbarungsgebilde der Natur, des Kosmos, des geistigen Raumes, der seine ewige Geometrie darauf projiziert und sie räumlich macht! Siehst du die genauen Kanten und schimmernden Flächen, – durch und durch ist das genaue Kante und schimmernde Fläche, ideelle Durchstrukturiertheit nenn' ich mir das. Denn es hat ja das Ding nur eine, es gänzlich durchdringende, es von innen nach außen ganz und gar ausmachende, sich immer wiederholende Form und Gestalt, die seine Achsen bestimmt, das Kristallgitter, und das macht ja eben die Durchsichtigkeit, die Affinität solcher Verkörperung zum Licht und zum Schauen. Willst du meine Meinung hören, so sag' ich, daß die kolossalisch-gediegene Kanten- und Flächen-Geometrie {358} der ägyptischen Pyramiden auch diesen geheimen Sinn hatte: die Beziehung zum Licht, zur Sonne, es sind Sonnenmale, Riesenkristalle, ungeheuere Nachahmung geistig-kosmischer Ein-Bildung von Menschenhand.«
    »Das ist hoch-interessant, Vater.«
    »Und ob. Und ob. Hat es ja auch mit der Dauer zu thun, mit Zeit und Tod und Ewigkeit, da wir denn gewahr werden, daß bloße Dauer ein falscher Sieg ist über Zeit und Tod, denn sie ist totes Sein und kein Werden mehr seit ihrem Beginn, weil sich bei ihr der Tod

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