Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
schuldlos schuldig werden, schuldig als ihr Mittel und als ihr Opfer auch, denn der Verführung widerstehen, heißt nicht aufhören, verführt zu sein, – es ist die Prüfung, die niemand besteht, denn sie ist süß, und als Prüfung schon selbst bleibt sie unbestanden. So beliebt es den Göttern, uns süße Verführung zu senden, sie uns erleiden, sie von uns ausgehn zu lassen als Paradigma aller Versuchung und Schuld, denn eines ist schon das andre. Ich habe nie von einem Verbrechen gehört, das ich nicht hätte begehen können … Dadurch, daß man eine Tat nicht begeht, entzieht man sich dem irdischen Richter, nicht dem oberen, denn im Herzen hat man sie begangen … Die Verführung durchs eigene Geschlecht möchte als Phänomen der Rache und höhnender Vergeltung anzusehen sein für selbst geübte Verführung – des Narkissos {354} Betörung ist sie ewig durch das Spiegelbild seiner selbst. Rache ist ewig mit der Verführung, mit der durch Überwindung nicht zu bestehenden Prüfung verbunden – so hat Brahma dies gewollt. Daher die Lust, das Entsetzen, womit ichs bedenke. Daher das produktive Grauen, das mir das Gedicht erregt, das früh geträumte, immer verschobene, noch zu verschiebende, vom Weib des Brahman, der Paria-Göttin, worin ich Verführung feiern und schaurig verkünden will, – daß ichs bewahre und immer vertage, ihm Jahrzehnte des In-mir-Ruhens und Werdens gönne, ist mir das Merkmal seiner Wichtigkeit. Ich mags nicht abtun, hege es bis zur Überreife, trage es durch die Lebensalter, – möge die junge Empfängnis eines Tags sich hervortun als geheimnisschweres Spätprodukt, – ausgeläutert, kondensiert durch die Zeit, knapp aufs äußerste, gleich einer aus Stahldrähten geschmiedeten Damaszenerklinge, so schwebt mir sein Endbild vor.
Weiß sehr genau die Quelle, woher mirs kam vor unzähligen Jahren, wie »Der Gott und die Bajadere« auch: die verdeutschte »Reise nach Ostindien und China«, produktive Scharteke, irgendwo unterm literarischen Alt-Hausrat muß sie schimmeln. Weiß aber kaum mehr, wie sichs ausnahm an seinem Orte, sondern nur noch, wie sichs bang gestaltet in mir zu geistigstem Zwecke, – das Bild hochedler, selig-reiner Frauen, die zum Flusse wandelt, tägliche Erquickung zu schöpfen, und dabei nicht Krugs noch Eimers bedarf, da sich ihren frommen Händen die Welle herrlich zur krystallnen Kugel ballt. Ich liebe diese köstliche Kugel, die das reine Weib des Reinen täglich in heiterer Andacht nach Hause trägt, kühl-tastbares Sinnbild der Klarheit und Ungetrübtheit, der unangefochtenen Unschuld und dessen, was sie in Einfalt vermag. Schöpft des Dichters reine Hand, Wasser wird sich ballen … Ja, ich wills ballen zur krystallenen Kugel, das Gedicht der Verführung, denn der Dichter, der vielversuchte, der verführerisch-vielverführte {355} kanns immer noch, ihm bleibt die Gabe, die das Zeichen der Reinheit. Nicht auch dem Weibe. Da die Flut ihr den Himmelsjüngling gespiegelt, da sie sich im Anschaun verloren, göttlich einziges Erscheinen ihr das tiefste Leben verwirrt, versagt sich ihr die Welle zur Formung, sie strauchelt heim, der hohe Gatte durchschauts, Rache, Rache waltet, die Heimgesuchte, die Schuldlos-Schuldige schleppt er zum Todeshügel, schlägt ihr das Haupt ab, womit sie ewige Reize erblickt, aber dem Rächer droht der Sohn, wie die Witwe dem Gatten ins Feuer, so der Mutter ins Schwert zu folgen. Nicht so, nicht so! Es ist wahr, am Schwerte starrt nicht das Blut, es fließt wie aus frischer Wunde. Eile! Füge wieder zum Rumpf das Haupt, sprich dazu dies Gebet, segne mit dem Schwerte die Fügung, und sie ersteht. Grauen der Stätte. Überkreuz zwei Körper, der Mutter edler Leib, der Leib der gerichteten Verbrecherin vom Paria-Stamm. Sohn, o Sohn, welch Übereilen! Das Haupt der Mutter setzt er auf der Verworfenen Leichnam, heilts mit dem Richtschwert, und eine Riesin, Göttin erhebt sich, – die Göttin der Unreinen. Dichte dies! Balle dies zu federnd gedrängtestem Sprachwerk! Nichts ist wichtiger! Sie ward zur Göttin, aber unter Göttern wird ihr Wollen weise und wild ihr Handeln sein. Vor dem Auge der Reinen wird das Gesicht der Versuchung, das selige Jünglingsbild, weben in Himmelszartheit; aber senkt sichs ins Herz der Unreinen hinab, regt es Lustbegier, rasend-verzweifelte, darin auf. Ewig dauert Verführung. Ewig wird sie wiederkehren, die verstörend göttliche Erscheinung, die sie vorübereilend streifte, immer steigend, immer
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