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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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gleich an die Erzeugung anschließt. So dauern die krystallinischen Pyramiden hinaus in die Zeit und überdauern die Jahrtausende, aber das hat nicht Leben noch Sinn, es ist tote Ewigkeit, es hat keine Biographie. Aufs Biographische kommt's an, und allzu kurz und arm ist die Biographie des Frühvollendeten. Siehst du, so ein sal, ein Salz, wie die Alchymisten alle Kristalle einschließlich der Schneeflocken nannten (es ist aber kein Salz in unserem Fall, es ist Kieselsäure) so ein sal hat nur einen einzigen Augenblick des Werdens und der Entwicklung, es ist der, da die Kristall-Lamelle aus der Mutterlauge herausfällt und den Ansatzpunkt abgibt zur Ablagerung weiterer Lamellen, wodurch denn der geometrische Körper schneller oder langsamer wächst und eine ansehnlichere oder geringere Größe gewinnt, allein relevant ist das weiter nicht, denn das kleinste dieser Gebilde ist ebenso perfekt wie das größte, und seine Lebensgeschichte war abgeschlossen mit der Geburt der Lamelle, nun dauert es nur noch in die Zeit, wie die Pyramiden, vielleicht Millionen Jahre, hat aber die Zeit nur außer ihm, nicht in ihm selbst, will sagen: es wird nicht älter, was ja nicht übel wäre, aber es ist tote Beständigkeit, und daß es kein Zeitleben hat, kommt daher, daß ihm zum Aufbau der Abbau fehlt und zum Bilden das Einschmelzen, das heißt: es ist nicht organisch. Allerkleinste Kristallkeime sind zwar noch nicht geometrisch, nicht kantig und flächig, sondern rundlich und {359} ähneln organischen Keimen. Allein das ist nur Aehnelei, denn der Kristall ist Struktur ganz und gar, von Anfang an, und Struktur ist licht, durchsichtig und gut zu schauen; hat aber einen Haken damit, denn sie ist der Tod, oder führt zum Tode, – welcher sich beim Kristall gleich an die Geburt schließt. Niemals Tod und ewige Jugend, das wäre, stünde die Wage ein zwischen Struktur und Entbildung, Aufbau und Einschmelzung. Steht aber nicht ein, die Wage, sondern von Anbeginn überwiegt im Organischen auch die Strukturierung, und so kristallisieren wir und dauern nur noch in der Zeit, gleich den Pyramiden. Aber das ist öde Dauer, Nachleben in der äußeren Zeit, ohne innere, ohne Biographie. Tiere auch dauern so, wenn sie ausstrukturiert und erwachsen sind, – nur mechanisch noch wiederholen sich dann Ernährung und Propagation, immer dasselbe, wie die Auflagerung beim Kristall, – die ganze Zeit, die sie noch leben, sind sie am Ziele. Auch sterben sie ja früh, die Tiere, – wahrscheinlich aus langer Weile. Halten die Ausstrukturiertheit und das Am Ziele sein nicht lange aus, es ist zu langweilig. Oede und sterbenslangweilig, mein Lieber, ist alles Sein, das in der Zeit steht, statt die Zeit in sich selbst zu tragen und seine eigene Zeit auszumachen, die nicht geradeaus läuft nach einem Ziel, sondern als Kreis in sich selber geht, immer am Ziel und stets am Anfang, – ein Sein wäre das, arbeitend und wirkend in und an sich selber, sodaß Werden und Sein, Wirken und Werk, Vergangenheit und Gegenwart ein und dasselbe wären und sich eine Dauer hervorthäte, die zugleich rastlose Steigerung, Erhöhung und Perfektion wäre. Und so fortan. Nimm es als Randbemerkung zu dieser lichten Anschaulichkeit und verzeih mein Didaktisieren. – Wie steht's mit dem Heumachen im großen Garten?«
    »Ist gethätigt, Vater. Aber ich bin mit dem Bauersmann überquer, der wieder nichts zahlen will, weil er sagt, mit dem Mähen und Abfahren sei's schon beglichen und es sei eigentlich er, der {360} noch was zu fordern habe. Aber ich laß es dem Schelmen nicht durchgehn, sei ruhig, er soll dir das gute Grummet schon angemessen entgelten, und sollt ich ihn vor Gericht schleppen.«
    »Brav. Du bist im Recht. Man muß sich wehren. À corsaire, corsaire et demi. Hast du schon nach Frankfurt geschrieben wegen des Abzugsgeldes?«
    »Noch nicht de facto, Vater. Mein Kopf ist voller Entwürfe, aber ich zögere noch etwas Hand ans Reskript zu legen. Was für ein Brief muß das nicht sein, womit wir die Sottise von der ›Beraubung der übrigen Bürger‹ zurückweisen wollen! Würde und Ironie müssen da eine niederschmetternde, zur Besinnung zwingende Verbindung eingehen. Das darf man nicht übers Knie brechen …«
    »Du hast recht, ich verzögert' es auch. Die günstige Stunde dafür will abgewartet sein. Noch bin ich guten Muts der Erlassung wegen, denn ich kann nicht glauben, daß die erste, patzige Antwort von Dalberg selber kam, dem alten Gönner, dem Freunde der

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