Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Lebensgeheimnis und witzig-träumerischer, ovidischer Erläuterung der Menschwerdung, – ohn alle Feierlichkeit, stilistisch aufs Allerleichteste und lustigste geschürzt, menippeische Satire – ist ein Lukian im Hause? ja, nebenan, weiß wo er steht, Subsidium, ich will ihn wieder lesen. Wies in der Magengrube zieht bei dem Gedanken, wozu mir, ganz unvorhergesehener Weise, durch träumerischste Erfindung der Homunculus noch gut geworden, – wer hätte denken können, daß er zu ihr, der Schönsten, in unbändig-lebensmystische Beziehung treten, gut werden würde zu nekkisch-scientifischer, neptunisch-thaletischer Begründung und Motivierung des Erscheinens sinnlich höchster Menschenschönheit! »Das letzte Produkt der sich immer steigernden Natur ist der schöne Mensch.« Der Winckelmann verstand was von Schönheit und sinnlichem Humanismus. Hätte seine Freude gehabt an diesem Übermut, die biologische Vorgeschichte des Schönen in seine Erscheinung aufzunehmen; an der Imagination, daß Liebeskraft der Monade zur Entelechie verhilft, und daß sie, als Klümpchen organischen Schleims im Ozean beginnend, durch namenlose Zeiten des Lebens holden Metamorphosen-Lauf durchmißt hinauf zum edel-liebenswürdigsten Gebilde. Das Witzig-Geistigste im Drama ist Motivierung. Sie liebten sie nicht, mein Bester, empfanden sie als {352} ungroß, hieltens für kühn, sie zu verachten. Allein Sie sehen, es gibt eine Kühnheit der Motivation, die sie dem Vorwurf des Kleinlichen denn doch entrückt. Ist je der Auftritt einer dramatischen Gestalt so vorbereitet worden? Versteht sich, es ist die Schönheit selbst, da sind besondere Anstalten geraten und geboten. Versteht sich ferner: es will ganz unter der Hand, ganz ahndungsweise nur zu verstehen gegeben sein. Auf mythologischen Humor, auf Travestie ist alles zu stellen, und tiefsinnig naturphilosophische Insinuation widerspreche hier der leichten Form, wie strenge Pracht des Vortrags, der Tragödie entliehen, im Helena-Akt der intriganten Trughandlung satyrisch widerspreche. Parodie … Über sie sinn ich am liebsten nach. Viel zu denken, viel zu sinnen gibts beim zarten Lebensfaden, und von allen Besinnlichkeiten, die die Kunst begleiten ist diese die seltsamst-heiterste und zärtlichste. Fromme Zerstörung, lächelnd Abschiednehmen … Bewahrende Nachfolge, die schon Scherz und Schimpf. Das Geliebte, Heilige, Alte, das hohe Vorbild auf einer Stufe und mit Gehalten zu wiederholen, die ihm den Stempel des Parodischen verleihen und das Produkt sich späten, schon spottenden Auflösungsgebilden wie der nacheuripideischen Komödie annähern lassen … Kurioses Dasein, einsam, unverstanden, gespielenlos und kalt, auf eigene Hand in einem noch rohen Volke die Kultur der Welt von gläubiger Blüte bis zum wissenden Verfall persönlich zu umfassen.
Winckelmann … »Genau genommen kann man sagen, es sei nur ein Augenblick, in welchem der schöne Mensch schön sei.« Merkwürdiger Satz. Wir erwischen im Metaphysischen den Augenblick des Schönen, da es, bewundert viel und viel gescholten, in melancholischer Vollkommenheit hervortritt, – die Ewigkeit des Augenblicks, den der vergangene Freund schmerzlich vergöttlichte mit jenem Wort. Teurer, schmerzlich scharfsinniger Schwärmer und Liebender, ins Sinnliche {353} geistreich vertieft! Kenn ich dein Geheimnis? Den inspirierenden Genius all deiner Wissenschaft, den heute bekenntnislosen Enthusiasmus, der dich mit Hellas verband? Denn dein Aperçu paßt ja eigentlich so recht nur aufs Männlich-Vormännliche, auf den im Marmor nur haltbaren Schönheitsmoment des Jünglings. Was gilts, du hattest das gute Glück, daß »der Mensch« ein masculinum ist, und daß du also die Schönheit masculinisieren mochtest nach Herzenslust. Mir erschien sie in Jugend-, in Frauengestalt … Aber auch nicht durchaus, und ich versteh mich schon auf deine Schliche, denk auch mit heiterster Offenheit des artigen blonden Kellnerburschen vorigen Sommer auf dem Geisberg oben in der Schenke, wo Boisserée wieder dabei war in katholischer Diskretion. Singe du den andern Leuten und verstumme mit dem Schenken! …
Gibts irgend was in der sittlichen, der sinnlichen Welt, worein vor allem mein Sinnen sich innigst versenkt hat in Lust und Schrecken dies ganze Leben lang, so ists die Verführung, – die erlittene, die tätig zugefügte, – süße, entsetzliche Berührung, von oben kommend, wenns den Göttern so beliebt: es ist die Sünde, deren wir
Weitere Kostenlose Bücher