Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Literatur. Könnte man ihm nur direkt und persönlich schreiben, aber das könnte nur ich, und ich darf nicht hervortreten.«
»Auf keinen Fall, Vater! In solchen Affairen bedarfst du der Deckung, des Wandschirms. Das ist eine hohe Bedürftigkeit, der Genüge zu thun ich geboren zu sein die Ehre habe. – Was schreibt denn die Frau Hofrätin?«
»Und bei Hofe, wie steht's?«
»Ach, es ist viel Kopfzerbrechens in Sachen der ersten Redoute beim Prinzen und der Quadrille, die wir heut Nachmittag wieder üben müssen. Keineswegs herrscht schon ein klarer Beschluß der Kostüme wegen, die zuerst bei der Polonaise ihre Wirkung thun sollen, – von dieser aber steht eben nicht fest, ob sie eine bunte Parade ad libitum sein oder eine bestimmte Idee veranschaulichen soll. Vorläufig sind, auch {361} wohl des praktisch greifbaren Materials wegen, die Wünsche sehr individuell. Der Prinz selber insistiert darauf, einen Wilden vorzustellen, Staff will einen Türken geben, Marschall einen französischen Bauern, Stein einen Savoyarden, die Schumannin besteht auf griechischer Tracht und die Aktuarius Rentschin auf einem Gärtnermädchen.«
»Höre, das ist du dernier ridicule. Die Rentschin ein Gärtnermädchen! Sie sollte ihre Jahre kennen. Man muß dagegen einschreiten. Eine römische matrona ist alles, was man ihr bewilligen kann. Wenn der Prinz auf den Wilden prätendiert, so weiß man ohnedies, wie er's im Sinne hat. Er würde sich mit dem verhutzelten Gärtnermädchen Späße erlauben, daß es zum Skandal käme. Ernstlich, August, ich hätte Lust, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, zum wenigsten die Polonaise, als welche nach meinem Dafürhalten nicht bunt und willkürlich sein dürfte, sondern auf einen Nenner gebracht werden oder doch eine lose, sinnige Ordnung aufweisen müßte. Wie in der persischen Poesie, so ist's überall, daß nur das Vorwalten eines oberen Leitenden, kurz, was wir anderen Deutschen ›Geist‹ nennen, wahre Genugthuung bringt. Ich hätte einen artigen Mummenschanz im Kopf, wovon ich wohl der Ordner und auch der ansagende Herold sein möchte, denn mit sinnig-kurzem Wort und auch mit einiger Musik von Mandolinen, Guitarren und Theorben müßte alles begleitet sein. Gärtnermädchen – gut, es könnten nette junge florentinische Gärtnerinnen kommen und in grünen Laubgängen bunten Flitter künstlicher Blüten feilbieten. Gärtner, bräunlichen Gesichts, müssten sich den Zierlichen anpaaren und strotzend Obst zu Markte bringen, sodaß in geschmückten Lauben die ganze Fülle des Jahres, Knospe, Blätter, Blume, Frucht sich den heiteren Sinnen anböte. Nicht genug damit, müßten einige Fischer und Vogelsteller mit Netzen, Angeln und Leimruten sich unter die schönen Kinder mischen, und es gäbe ein wechselseitiges Ge {362} winnen und Fangen, Entgehen und Festhalten artigsten Styls, das von dem Aufzuge ungeschlachter Holzhauer zu unterbrechen wäre, denen die Rolle zufiele, im Feinen die unentbehrliche Grobheit zu vertreten. Alsdann so sollte der Herold die griechische Mythologie hervorrufen, und den Anmut verkündenden Grazien folgten auf dem Fuß die besinnlichen Parzen, Atropos, Klotho und Lachesis, mit Rocken, Schere und Weife, und kaum sind dann auch die drei Furien vorüber, welche aber, versteh' mich recht, sich nicht wüst und anstößig darstellen, sondern als einnehmende, wenn auch leidlich schlangenhafte und boshafte junge Frauenzimmer erscheinen müßten, so schleppte sich auch schon wuchtend ein wahrer Berg und lebender Koloß, mit Teppichen behängt und turmgekrönt, heran, ein veritabler Elefant, dem eine zierliche Frau mit stachelndem Lenkstabe im Nacken säße, während droben auf der Zinne die hehrste Göttin –«
»Ja, aber Vater! Wo nehmen wir denn einen Elefanten her, und wie könnte ein solcher im Schloß –«
»Geh, sei kein Spielverderber! Das fände sich schon, das ließe sich schon fingieren und ein tierisches Aufgebäude mit Rüssel und Zähnen bei einigem guten Willen zum abenteuerlichen Schein sich allenfalls auf Räder stellen. Die geflügelte Göttin, mein' ich, dort oben, das wäre Victoria, die Meisterin aller Thätigkeiten. Aber zur Seite schritten in Ketten zwei edle Frauengestalten, deren Bedeutung der Herold amtsgemäß zu entfalten hätte, denn es sind Furcht und Hoffnung, in Ketten gelegt von der Klugheit, welche sie beide dem Publico als arge Menschenfeinde dar- und bloßstellen müßte.«
»Die Hoffnung auch?«
»Unbedingt! Mindestens mit
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