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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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denn abgekommen?«
    »Abgekommen sind wir vom überbrachten Billet, Vater, über das man sich wohl zu beraten und zu verständigen hätte. Was schreibt Frau Hofrätin Kestner?«
    »Ja, so, das Billet. Du hast mir ja ein billet-doux gebracht. Was sie schreibt? Nun, ich hab auch was geschrieben, lies das lieber erst, un momentino, hier, es ist für den Diwan.«
    »›Man sagt, die Gänse wären dumm; – O glaubt mir nicht den Leuten! – Denn eine sieht einmal sich rum, – Mich rückwärts zu bedeuten.‹ – Ja, ja, recht hübsch, Vater, recht artig – oder auch unartig, wie man es nimmt, und zur Antwort will es nicht sonderlich taugen.«
    »Nicht? Ich dachte. Dann müssen wir uns eine andere ausdenken, und sie darf prosaisch sein, denk' ich, – die übliche an distinguierte Weimar-Pilger: eine Einladung zum Mittagessen.«
    »Das ohnehin. Das Briefchen ist sehr wohlgeschrieben.«
    »O, sehr. Was meinst du, wie lange das Seelchen daran gesponnen.«
    »Man sieht wohl nach seinen Worten, wenn man dir schreibt.«
    »Ein unbehaglich Gefühl.«
    »Es ist die Zucht der Kultur, die du den Menschen auferlegst.«
    {366} »Und wenn ich tot bin, werden sie Uff! sagen und sich wieder ausdrücken wie die Ferkel.«
    »Das ist zu befürchten.«
    »Sag nicht ›befürchten‹. Du solltest ihnen ihre Natur gönnen. Ich bedrück' sie nicht gerne.«
    »Wer spricht von Bedrücken? Und wer nun gar von Sterben? Du wirst uns noch lange ein zum Guten und Schönen anhaltender Herrscher sein.«
    »Meinst du? Ich fühl' mich heut aber garnicht zum besten. Der Arm thut weh. Hab auch mit dem Dämpfigen wieder ennui gehabt und auf den Aerger lange diktiert, das schlägt sich unweigerlich dann aufs Nervensystem.«
    »Das heißt: hinübergehen und der Billetschreiberin aufwarten wirst du nicht; möchtest auch den Beschluß über das Billet lieber noch aufschieben.«
    »Das heißt, das heißt. Du hast eine Art, Folgerungen zu ziehen – nicht sehr zart, du rupfst sie förmlich, die Folgerungen.«
    »Verzeih, ich taste im Dunkeln wegen deiner Empfindungen und Wünsche.«
    »Nun, ich auch. Und im Dunkeln munkelt's denn wohl gespenstisch. Wenn Vergangenheit und Gegenwart eins werden, wozu mein Leben von je eine Neigung hatte, nimmt leicht die Gegenwart einen spukhaften Charakter an. Das nimmt sich recht wohl aus im Gedicht, hat in der Wirklichkeit aber doch was Apprehensives. – Du sagst, das Vorkommnis macht Rumor in der Stadt?«
    »Nicht wenig, Vater. Wie willst du, daß es keinen machte? Die Leute rotten sich vorm Gasthaus zusammen. Sie wollen die Heldin von Werthers Leiden sehen. Die Polizei hat Mühe, die Ordnung aufrecht zu halten.«
    »Närrisches Volk! – Die Kultur steht nun aber doch unglaublich hoch in Deutschland, daß es solch Aufsehen macht und {367} solche Neugier erregt. – Pénible, Sohn. Eine pénible, ja gräuliche Sache. Die Vergangenheit verschwört sich mit der Narrheit gegen mich, um Trouble und Unordnung zu stiften. Konnt' sie sich's nicht verkneifen, die Alte, und mir's nicht ersparen?«
    »Du fragst mich zuviel, Vater. Du siehst, die Frau Hofrätin ist völlig in ihrem Recht. Sie besucht ihre lieben Verwandten, die Ridels.«
    »Natürlich doch, die besucht sie – genäschiger Weise. Denn Ruhm möcht' sie naschen, ohne Gefühl dafür, wie Ruhm und Berüchtigtheit peinlich in einander gehen. Und da haben wir nur erst einmal den Auflauf der Menge. Wie wird die Gesellschaft sich erst excitieren und sich moquieren, die Hälse recken, tuscheln und äugen! – Kurzum, man muß das nach Kräften verhüten und unterbinden, muß die besonnenste, festeste und zügelndste Haltung einnehmen. Wir geben ein Mittagessen in kleinem Cirkel, mit jenen Verwandten, halten uns sonst aber fern und bieten der Gier nach Aufregung keinerlei Handhabe –«
    »Wann soll es sein, Vater?«
    »In ein paar Tagen. Demnächst einmal. Das rechte Maß, die rechte Distanz. Man muß einerseits Zeit haben, die Dinge ins Auge zu fassen und sich von Weitem an sie zu gewöhnen, andererseits sie nicht zu lange sich vorstehen lassen, sondern sie hinter sich bringen. – Gegenwärtig sind Köchin und Hausmagd ohnedies mit der im Schwunge seienden Wäsche beschäftigt.«
    »Übermorgen werden wir sie in den Schränken haben.«
    »Gut, so sei es über drei Tage.«
    »Wen laden wir ein?«
    »Das Nächste – mit einer kleinen Zuthat von Fremderem. Eine leicht erweiterte Intimität wird sich in diesem Falle empfehlen. Item: Mutter und Kind nebst

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