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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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hinstellte, daß die Besucherinnen an »unserer Thür« auch hätten vorübergehen können. Übrigens hatte er das reizende »lieb'erwünscht« im Zusammenhange mit Ridels gebildet.
    Seine Augen gingen etwas unstät zwischen Mutter und Tochter hin und her, aber auch über sie hinaus gegen die Fenster. Charlotte hatte nicht den Eindruck, daß er sie eigentlich sähe; wessen er aber im Fluge gewahr wurde, war, wie ihr nicht entging, das jetzt ganz unbezähmbare Nicken ihres Kopfes: – für einen kurzen Moment schloß er mit einem bis zur Erstorbenheit ernsten und schonenden Ausdruck die Augen vor der Wahrnehmung, kehrte aber aus dieser betrübten Zu {390} rückgezogenheit im Nu und als sei nichts geschehen wieder zu verbindlicher Gegenwart zurück.
    »Und Jugend«, fuhr er fort, ganz gegen Lotte, die Tochter, gewandt, »fällt uns da wie ein goldener Sonnenstrahl ins verschattete Haus –«
    Charlotte, die bisher nur angedeutet hatte, es sei doch selbstverständlich gewesen, daß sie an seiner Tür nicht vorübergegangen sei, griff hier mit der fälligen und offenbar verlangten Vorstellung ein. Es sei ihr Hauptwunsch gewesen, sagte sie, ihm dieses ihr Kind, Charlotte, ihre Zweitjüngste, aus dem Elsaß bei ihr zu Besuch auf einige Wochen, unter die Augen zu stellen. Sie sprach ihn mit »Excellenz« an bei diesen Worten, wenn auch rasch und undeutlich, und er verwies es ihr nicht, bat sich keine andere Anrede aus, vielleicht weil er mit der Betrachtung der Präsentierten beschäftigt war.
    »Hübsch, hübsch, hübsch!« sagte er. »Diese Augen mögen unter der Männerwelt schon manches Unheil angerichtet haben.«
    Das Compliment war dermaßen konventionell und paßte auf die Pflegerin Bruder Carls so ganz und garnicht, daß es schon fast zum Himmel schrie. Das herbe Lottchen biß sich denn auch mit wegwerfend gequältem Lächeln schief in die Lippe, was ihn bestimmen mochte, seine nächsten Worte mit einem dahinstellenden »Jedenfalls« zu beginnen.
    »Jedenfalls«, sagte er, »ist es recht, recht schön, daß es mir denn doch auch einmal vergönnt ist, von der wackeren Schar, die unser lieber seliger Hofrat mir damals im Schattenriß sandte, ein Mitglied in natura vor mir zu sehen. Harrt man nur aus, so bringt die Zeit alles heran.«
    Das glich einem Zugeständnis; die Erwähnung der Scherenschnitte und Hans Christians bedeutete etwas wie ein Abgehen von der Regelung, die Charlotte spürte, und so war es wohl unrecht von ihr, daß sie ihn auch noch erinnerte, er habe im {391} merhin schon die Bekanntschaft zweier ihrer Kinder gemacht, nämlich Augusts und Theodors, als sie sich die Freiheit genommen, ihn auf der Gerbermühle zu besuchen. Gerade den Namen jenes Landsitzes hätte sie vielleicht nicht aussprechen sollen, denn er sah sie, nachdem er von ihren Lippen gekommen, einen Augenblick mit einer Art von Entgeisterung an, zu schreckhaft, als daß man sie bloßem Sich besinnen auf die Begegnung hätte zuschreiben können.
    »Ei freilich doch!« rief er dann. »Wie konnte ich das vergessen! Verzeihen Sie diesem alten Kopf!« Und statt etwa auf den vergeßlichen Kopf zu deuten, streichelte er, wie beim Hereinkommen mit der Rechten den linken Arm, auf dessen leidenden Zustand er offenbar aufmerksam zu machen wünschte. »Wie geht es den prächtigen jungen Männern? Gut, das dachte ich mir. Das Wohlergehen liegt in ihren trefflichen Naturen, es ist ihnen eingeboren – kein Wunder bei solchen Eltern. Und die Damen sind angenehm gereist?« fragte er noch. »Ich will es glauben; die Strecke Hildesheim, Nordhausen, Erfurt ist kultiviert und bevorzugt, – gute Pferde meist, gute Verköstigung mehrfach am Wege – und mäßig expensiv, Sie werden kaum mehr als fünfzig Thaler netto bezahlt haben.«
    Er sagte es, indem er dieses gesonderte Zusammenstehen auflöste, sich in Bewegung setzte und die Kestners zur übrigen Gesellschaft hinübermanövrierte.
    »Ich nehme an«, sprach er, »daß unser vortrefflicher Juvenil« (damit war August gemeint) »Sie schon mit den wenigen werten Anwesenden bekannt gemacht hat. Diese ebenfalls schönen Frauen sind Ihre Freundinnen, diese würdigen Männer Ihre Verehrer …« Er begrüßte der Reihe nach Madame Kirms in der Haube, die Baurätin Coudray im großen Hut, die geistige Riemer, die klassische Meyer und Amalie Ridel, der er schon vorhin, beim »lieb'erwünschten Besuch« von Weitem einen sprechenden Blick gesandt hatte, und drückte dann, wie sie da {392} standen, den Herren

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