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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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besonders da sie, jetzt wie auch später, beobachtete, daß August mit seinen melancholisch versüßten und soviel weniger blickstarken Vater-Augen fast ängstlich fragend zu ihrem Tischherrn hinübersah, besorgt, ob er das Gericht gelungen finde. Goethe hatte sich als Einziger zwei von den Muscheln genommen, ließ dann aber die zweite fast unberührt. Daß bei ihm, wie man zu sagen pflegt, die Augen weiter gingen als der Magen (oder als die Zähne), zeigte sich auch nachher bei dem vorzüglichen Filet, das, mit Gemüsen reich garniert, auf langen Schüsseln herumgereicht wurde, und wovon er sich so überreichlich auf den Teller häufte, daß er zuletzt die Hälfte übrig ließ. Dagegen trank er in großen Zügen, vom Rheinwein sowohl wie vom Bordeaux, und sein Einschenken, das wie jenes Brotbrechen jedesmal etwas Ceremonielles hatte, galt vorzugsweise ihm selber. Die Piesporterflasche zumal mußte bald ausgewechselt werden. Sein ohnedies dunkel getöntes Gesicht trat im Lauf der Mahlzeit in noch entschiedeneren Kontrast zu der Bleiche des Haars.
    Seiner eingießenden Hand, welche, von einer gekräuselten Manschette eingefaßt, mit ihren kurz gehaltenen, wohl geformten Nägeln bei aller Breite und Kräftigkeit etwas geistig Durchgebildetes hatte und mit fester Anmut den Flaschenleib umfaßte, sah Charlotte immer wieder mit der eindringlichen und etwas benommenen Aufmerksamkeit zu, die während dieser Stunden nicht von ihr wich. Ihr spendete er wiederholt vom Egerwasser und fuhr gleich anfangs darüber sich auszulassen fort, indem er in seiner langsamen, ohne Monotonie tieftönenden und besonders klar artikulierten Sprechweise, bei der nur manchmal nach Stammesart die Endkonsonanten wegfielen, von seiner ersten Bekanntschaft mit diesem zuträglichen Brunnen erzählte, und wie er sich alljährlich davon durch die sogenannten Franzensdorfer Krugführer nach Weimar kom {400} men lasse, auch in den letzten Jahren, wo er den böhmischen Bädern fern geblieben, zu Hause systematische Trinkkuren damit durchzuführen gesucht habe. Es lag wohl an der außergewöhnlich präzisen und deutlichen Redeweise, bei der sein Mund sich höchst angenehm, in halbem Lächeln bewegte, und die etwas ungewollt Durchdringendes, Beherrschendes hatte, daß man ihm allgemein dabei zuhörte am Tische, wie denn während der ganzen Mahlzeit das Einzelgespräch dünn und sporadisch blieb und, sobald er zu sprechen begann, immer wieder die gemeinsame Aufmerksamkeit sich dem Hausherrn zuwandte. Er konnte dies kaum verhindern oder höchstens dadurch, daß er sich mit betonter Diskretion zu einem seiner Nachbarn neigte und sehr gedämpft das Wort an ihn richtete; aber selbst dann lauschte man herüber.
    So war es, als er, nach dem guten Wort, das Hofkammerrat Kirms für das Volk der Deutschen eingelegt, Charlotten sozusagen unter vier Augen Person und Vorzüge ihres anderen Tischherrn zur Rechten zu erklären begann: ein wie hoch um den Staat verdienter Mann und hervorragender Wirtschaftspraktikus er sei, die Seele des Hofmarschallamts, dabei ein Freund der Musen und feinsinniger Liebhaber der dramatischen Kunst, unschätzbar als Mitglied der in diesem Jahre neu gegründeten Hoftheater-Intendanz. Fast hätte es ausgesehen, als wollte er sie zur Unterhaltung an Kirms verweisen, sie sozusagen nach dessen Seite abschieben, wenn er nicht doch die Erkundigung nach ihrem eigenen Verhältnis zum Theater daran geknüpft und vermutet hätte, gewiß werde sie ihren Aufenthalt dazu benutzen wollen, sich von der Leistungsfähigkeit der Weimarer Bühne ein Bild zu machen. Er stellte ihr seine Loge zur Verfügung, wann immer sie Lust haben werde, sie zu benutzen. Sie dankte vielmals und antwortete, daß sie persönlich am Comödiespiel immer viel Freude gehabt habe, daß aber in ihren Kreisen geringes Interesse dafür vorhanden gewesen, {401} auch das Hannöver'sche Theater nicht danach angetan gewesen sei, den Sinn dafür zu beleben, weshalb sie denn, von Lebenspflichten ohnedies immer stark in Anspruch genommen, sich diesem Genuß einigermaßen entfremdet finde. Das berühmte, von ihm geschulte Weimarer Ensemble kennen zu lernen, werde ihr aber sehr lieb und wichtig sein.
    Während sie sich so mit etwas kleiner Stimme äußerte, hörte er, den Kopf gegen ihren Teller geneigt, Verständnis nickend zu, indem er zu ihrer Beschämung einige Brösel und Kügelchen, zu denen sie in Gedanken ihr Brot zerkrümelt, einzeln mit dem Ringfinger auftupfte und sie zu einem

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