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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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die Hand, mit Auszeichnung des stadtfremden Bergrates Werner, eines freundlich gedrungenen Fünfzigers mit frischen Äuglein, einer Glatze und lockigem weißem Haar am Hinterhaupt, die rasierten Wangen behaglich in den stehenden, von der weißen Binde umwickelten, das Kinn frei lassenden Kragen seines Hemdes geschmiegt. Ihn ersah er mit einer kleinen, nach hinten und seitlich gehenden Bewegung des Kopfes und einem verständig ermüdeten, das Formelle abtuenden Ausdruck, als wollte er sagen: »Ah, endlich, was soll der Unsinn, da haben wir etwas Rechtes«, – einer Gebärde, die auf Meyers und Riemers Gesichtern einen der Eifersucht abgeheuchelten, gönnerischen Beifall hervorrief, – und wandte sich nach Absolvierung der anderen dem Geognostiker auch gleich wieder angelegentlich zu, während die Damen Charlotten umdrängten, indem sie sie tuschelnd und sich mit Fächern schützend befragten, ob sie finde, daß Goethe sich sehr verändert habe.
    Man stand noch eine Weile in dem von der klassischen Riesenbüste beherrschten, mit gestickten Wandbordüren, Aquarellen, Kupfern und Oelgemälden geschmückten Empfangszimmer umher, dessen Stühle, schlicht von Form, symmetrisch an den Wänden, neben den weiß gerahmten Türen und vor den Fenstern zwischen ebenfalls weiß lackierten Sammlungsschränken angeordnet waren. Durch die vielen überall aufgestellten Schauobjekte und kleinen Altertümer, die geschliffenen Chalcedon-Schalen auf Marmortischchen, die geflügelte Nike, die den bedeckten Sofatisch unter der »Hochzeit« zierte, die antiken Götterbildchen, Larven und Faunen unter Glasstürzen auf den Schubschränken, machte der Raum einen kunstkabinettartigen Eindruck. Charlotte ließ den Hausherrn nicht aus den Augen, der mit gespreizten Beinen, in übergerader, zurückgelehnter Haltung, die Hände bei gestreckten Armen im Rücken zusammengelegt, in seinem seidenfeinen {393} Leibrock, auf dem der Silberstern bei jeder Bewegung blitzte, dastand und abwechselnd mit einem und dem anderen der männlichen Gäste, mit Werner, mit Kirms, mit Coudray, Conversation machte, – vorläufig nicht mehr mit ihr. Es war ihr lieb und recht, ihm unter der Hand zusehen zu können und nicht mit ihm sprechen zu müssen, – was nicht hinderte, daß treibende Ungeduld sie erfüllte, das Gespräch mit ihm fortzusetzen, da sie es als dringliche Notwendigkeit empfand, während doch wieder die Beobachtung seines Verkehrs mit anderen ihr auf irgend eine Weise die Lust dazu austrieb und sie überzeugte, daß derjenige, dem gerade der Vorzug zuteilwurde, es nicht sehr gut hatte.
    Ihr Jugendfreund wirkte überaus vornehm, darüber war kein Zweifel. Seine Kleidung, die einst übermütig gesucht gewesen, war jetzt gewählt, hinter der letzten Mode mit Gemessenheit etwas zurückhaltend, und das leicht Altfränkische darin mochte wohl harmonieren mit der Steifigkeit seines Stehens und Tretens und zusammen damit den Eindruck der Würde erwecken. Obgleich aber sein Gehaben das breit Aufgepflanzte und Zurückgenommene hatte und er den schönen Kopf hoch trug, schien es dennoch, als stünde jene Würde nicht auf den festesten Beinen; es war, wen er auch vor sich hatte, in seiner Haltung etwas Schwankendes, Unbequemes, Befangenes, das in seiner Unsinnigkeit den Beobachter ebenso beunruhigte wie den jeweiligen Gesprächspartner, indem es diesem den sonderbarsten Zwang auferlegte. Da jedermann fühlt und weiß, daß es Sachlichkeit ist, worauf die natürliche Freiheit und selbstvergessene Unmittelbarkeit des Benehmens beruht, so flößte diese Gezwungenheit ganz von selbst die Ahnung mangelnder Anteilnahme an Menschen und Dingen ein und war danach angethan, auch den Partner auf eine ratlose Weise dem Gegenstande abwendig zu machen. Die Augen des Hausherrn hatten die Gewohnheit, aufmerksam auf dem Gegenüber zu {394} ruhen, solange dieser ihn im Sprechen nicht ansah, sobald er aber den Blick auf ihn richtete, abzuschweifen und über seinem Kopfe unstät im Zimmer herumzugehen.
    Charlotte sah dies alles mit Frauenscharfblick, und man kann nur wiederholen, daß es ihr ebensoviel Furcht davor einflößte, das Gespräch mit dem Freunde von einst wieder aufzunehmen, wie es sie auch wieder mit dem Gefühl dringlichster Notwendigkeit erfüllte, dies zu tun. Übrigens mochte vieles von den Eigentümlichkeiten seines Benehmens auf Rechnung des nüchtern-vorläufigen Vor-Tisch-Zustandes zu setzen sein, der ihm zu lange dauerte. Mehrmals sah er mit fragend erhobenen

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