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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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charakteristischen, man möchte sagen: mythisch gestimmten Wohlgefallens an diesem patriarchalischen Monologisieren des vorsitzenden Hausvaters nicht erwehren. Eine alte Wortverbindung und dunkle Erinnerung kam ihr dabei in den Sinn und setzte sich hartnäckig in ihr fest. »Luthers Tischgespräche«, dachte sie und verteidigte den Eindruck bei sich gegen alle physiognomische Unstimmigkeit.
    Essend, trinkend und einschenkend, zwischendurch zurückgelehnt und die Hände über seiner Serviette gefaltet, sprach er weiter, meist langsam, in tiefer Stimmlage und gewissenhaft nach dem Worte suchend, zuweilen aber auch lokkerer und geschwinder, wobei dann die Hände sich wohl zu Gesten lösten, die große Leichtigkeit und Anmut hatten. Sie {404} erinnerten Charlotte daran, daß er gewohnt war, mit Schauspielern Didaskalien des Geschmacks und der theatralischen Wohlgefälligkeit zu halten. Seine Augen mit den eigentümlich gesenkten Außenwinkeln umfaßten die Tischgesellschaft mit Glanz und Herzlichkeit, während sein Mund sich regte – nicht immer gleich angenehm: seine Lippen schienen zeitweise von unschönem Zwange verzogen, der quälend und rätselhaft zu beobachten war und das Vergnügen an seinem Sprechen in Unruhe und Mitleid verwandelte. Doch schwand der Bann meist rasch wieder, und dann war die Bewegung dieses schön geformten Mundes von so wohliger Liebenswürdigkeit, daß man sich wunderte, wie genau und unübertrieben das homerische Epitheton »ambrosisch«, mochte man es auch noch nie auf die Wirklichkeit angewandt haben, diese Anmut bezeichnete.
    Er sprach noch von Böhmen, von Franzensbrunn, von Eger und dem gepflegten Reiz seines Tales, schilderte ein Kirchen- und Ernte-Dankfest, dem er dort beigewohnt, die fahnenbunte Prozession von Schützen, Zünften und urwüchsigem Volk, welche, geführt von schwer geschmückter, Heiligtümer tragender Klerisei, von der Hauptkirche über den Ring gezogen sei. Dann, mit gesenkter Stimme, vorgeschobenen Lippen und einem Unheilsausdruck, der doch auch wieder etwas episch Scherzhaftes hatte, wie wenn man Kindern Schauriges erzählt, berichtete er von einer Blutnacht, die jene merkwürdige Stadt in einem Jahrhundert der späteren Mittelzeit gesehen, einem Judenmorden, zu dem sich die Einwohnerschaft jäh und wie im Krampf habe hinreißen lassen und von dem in alten Chroniken die Kunde gehe. Viele Kinder Israel nämlich hätten zu Eger gelebt, in mehreren ihnen zugewiesenen Gassen, wo denn auch eine ihrer berühmtesten Synagogen nebst Hoher Judenschule, der einzigen in Deutschland, gelegen gewesen sei. Eines Tages nun habe ein Barfüßer Mönch, der offenbar fatale red {405} nerische Gaben besessen, das Leiden Christi von der Kanzel herab aufs erbarmungswürdigste geschildert und die Juden als die Urheber alles Unheils empörend dargestellt, worauf ein zur Tat geneigter und durch die Predigt außer sich gebrachter Kriegsmann zum Hochaltar gesprungen sei, das Kruzifix ergriffen und mit dem Schrei: »Wer ein Christ ist, folge mir nach!« den Funken in die hochentzündliche Menge geworfen habe. Sie folgte ihm, außen fand Gesindel jeglicher Art sich dazu, und ein Plündern und Morden begann in den Judengassen, unerhört: die unseligen Bewohner seien in ein gewisses schmales Gäßchen zwischen zweien ihrer Hauptstraßen geschleppt und dort gemetzelt worden, dergestalt, daß aus dem Gäßchen, welches noch heute die Mordgasse heiße, das Blut wie ein Bach herabgeflossen sei. Entkommen sei diesem Würgen nur ein einziger Jude, nämlich dadurch, daß er sich in einen Schornstein gezwängt und dort verborgen gehalten habe. Ihn habe nach hergestellter Ruhe die reuige Stadt, welche übrigens von dem damals regierenden römischen König Karl dem Vierten für das Vorkommnis ziemlich empfindlich gepönt worden sei, feierlich als Bürger von Eger anerkannt.
    »Als Bürger von Eger!« rief der Erzähler. »Da war er denn was und fand sich prächtig entschädigt. Er hatte vermutlich Weib und Kinder, sein Hab und Gut, all seine Freunde und Verwandten, seine ganze Gemeinschaft verloren, vom stickenden Drange des Rauchfanges, worin er die gräßlichen Stunden zugebracht, noch ganz zu schweigen. Nackt und bloß stand er da, war aber nun Bürger von Eger und am Ende noch stolz darauf. Kennt ihr die Menschen wieder? So sind sie. Sie lassen's über sich kommen mit Lust, daß sie das Gräulichste begehen, und genießen nach gekühltem Mütchen auch noch die Geste reuiger Großmut, womit sie die

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