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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Brauen zu seinem Sohne hinüber, dem die Verantwortung eines Hausmarschalls zuzukommen schien.
    Endlich näherte sich ihm der Bediente mit der erwünschten Meldung, und rasch abbrechend verkündete er sie der kleinen Versammlung.
    »Liebe Freunde, man bittet uns zur Suppe«, sagte er. Damit trat er auf Lotte und Lottchen zu, nahm sie mit einer gewissen Contretanz-Zierlichkeit bei den Händen und eröffnete mit ihnen den Eintritt in den anstoßenden sogenannten Gelben Saal, wo heute gedeckt war, weil das weiterhin gelegene Kleine Eßzimmer für sechszehn Personen nicht ausgereicht hätte.
    Der Name »Saal« war leicht übertrieben für den Raum, der die Gesellschaft nun aufnahm, doch war er gestreckter als der eben verlassene und wies seinerseits gleich zwei weiße Kolossalköpfe auf: einen Antinous, melancholisch vor Schönheit, und einen majestätischen Jupiter. Eine Suite von kolorierten Kupfern mythologischen Gegenstandes und eine Copie von Tizians »Himmlischer Liebe« schmückten die Wände. Auch hier thaten hinter offenen Thüren Durchblicke in weitere Räumlichkeiten sich auf, und besonders hübsch war der der Schmalseite durch eine Büstenhalle auf den umrankten Altan und die zum Garten hinabführende Treppe. Die Tafel war {395} mit mehr als bürgerlicher Eleganz, mit feinem Damast, Blumen, silbernen Armleuchtern, vergoldetem Porzellan und dreierlei Gläsern für jedes Couvert gedeckt. Es bedienten der junge Livrierte und ein ländlich rotbäckiges Hausmädchen in Häubchen, Mieder, weißen Puff-Aermeln und dickem, hausgeschneidertem Rock.
    Goethe saß in der Mitte der einen Längsseite zwischen Charlotte und ihrer Schwester, denen sich zur Rechten und Linken Hofkammerrat Kirms und Professor Meyer, weiterhin einerseits M me Meyer und andererseits M me Riemer anreihten. August hatte wegen Herren-Überschusses das Prinzip der Bunten Reihe nicht ganz einhalten können. Er hatte den Bergrat seinem Vater gegenüber placiert und ihm zum rechten Nachbarn Dr. Riemer geben müssen, mit dem er sich selbst in die Gesellschaft Lottchens, der Jüngeren teilte. Links von Werner, Charlotten gegenüber, saß M me Coudray, an die Dr. Ridel und M me Kirms sich schlossen. Herr Stephan Schütze und der Ober-Baurat nahmen die Schmalseiten der Tafel ein.
    Die Suppe, eine sehr kräftige Brühe mit Markklöschen darin, hatte rings herum bereit gestanden, als man seine Plätze einnahm. Der Hausherr brach mit einer Bewegung, die etwas Weiheaktartiges hatte, sein Brot über seinem Teller. Er nahm sich im Sitzen viel besser und freier aus, denn im Stehen und Gehen; vor allem hätte man ihn sitzend für größer geschätzt, als die aufrechte Haltung ihn zeigte. Aber es war wohl die Situation selbst, der gastgeberisch-hausväterliche Vorsitz bei Tische, der seiner Erscheinung Bequemlichkeit und Behagen verlieh: er schien sich in seinem Elemente darin zu fühlen. Mit großen Augen, in denen es schalkhaft blitzte, blickte er in dem noch schweigenden Kreise umher, und wie er mit der Gebärde des Brotbrechens gleichsam die Mahlzeit eröffnete, so schien er das Gespräch anstimmen zu wollen, indem er in seiner bedächtigen, klar artikulierten und wohlgeordneten Sprechweise, die {396} diejenige eines in Norddeutschland gebildeten Süddeutschen war, in die Runde sagte:
    »So wollen wir den Himmlischen Dank wissen, liebe Freunde, für dies heitere Beisammensein, das sie uns aus so freudig-wertem Anlaß bereiten, und uns des bescheidenen, treu bereiteten Mahles erfreuen!«
    Damit begann er zu löffeln, und alle thaten desgleichen, nicht ohne daß die Gesellschaft mit Blicken, Nicken und schwärmerischem Lächeln sich über die Vortrefflichkeit der kleinen Rede verständigt –, unter einander sich gleichsam bedeutet hätte: »Was will man machen? Er trifft es immer aufs schönste.«
    Charlotte saß eingehüllt in den Eau de Cologne-Duft, der von der Person ihres Nachbarn zur Linken ausging, und bei dem sie sich unwillkürlich des »Wohlgeruchs« erinnerte, an dem nach Riemers Worten das Göttliche zu erkennen war. In einer Art von ungenügendem Traumdenken erschien ihr dieser Eau de Cologne-Duft, frisch wie er war, als die nüchterne Wirklichkeit des sogenannten Gottesozons. Während ihr Hausfrauensinn nicht umhin konnte, festzustellen, daß die Markklöschen tatsächlich »treu bereitet«, das heißt: musterhaft locker und fein von Substanz waren, hielt ihr ganzes Wesen in einer Spannung, einer Erwartung aus, die sich gewissen Regelungen trotzig

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