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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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entgegensetzte und keineswegs darauf verzichtete, mit ihnen fertig zu werden. In dieser Hoffnung, die näher zu bestimmen schwierig gewesen wäre, fühlte sie sich bestärkt durch ihres Nachbarn behaglich-freieres Verhalten als Vorsitzender seines Gastmahls – und wieder beeinträchtigt durch den Umstand, daß sie, wie freilich unvermeidlich, an seiner Seite saß und nicht ihm gegenüber: denn wieviel günstiger ihren inneren Bestrebungen wäre es gewesen, ihn Aug' in Auge vor sich zu haben, und wie sehr hätte es die Aussicht verbessert, daß ihm die Augen aufgingen für ihre sinnreiche Tracht, die das Mittel {397} dieser Bestrebungen war! Sie wünschte sich eifersüchtig an des fröhlich blickenden Werners Stelle, gespannt auf die Anrede, die sie von der Seite zu gewärtigen hatte, da sie ihr doch lieber frontal und bei gerader Sicht begegnet wäre. Aber ihr Tischherr wandte sich nicht besonders an sie, sondern sprach allgemein zur Nachbarschaft, indem er nach einigen Löffeln Suppe die beiden Weinflaschen, die in silbernen Untersätzen vor ihm standen, (gegen die beiden Enden des Tisches hin stand auch je ein Paar) eine nach der anderen etwas schräg hielt, um die Etiketts zu lesen.
    »Ich sehe«, sagte er, »mein Sohn hat sich nicht lumpen lassen und uns zwei löbliche Herzensstärkungen aufgetischt, von denen die vaterländische es mit der welschen aufnehmen kann. Wir halten fest an der patriarchalischen Sitte des Selbst-Einschenkens – sie bleibt dem Kredenzen durch dienstbare Geister und dem preziösen glasweisen Herumreichen vorzuziehen, das ich nicht leiden kann. Auf unsere Art hat man freie Hand und sieht seiner Flasche an, wie weit man's mit ihr gebracht. Wie denken Sie, meine Damen, und Sie, lieber Bergrat? Rot oder weiß? Ich meine: die heimische Rebe zuerst und den Franzen zum Braten oder, der wärmenden Grundlage wegen, erst gleich von diesem? Ich will für ihn einstehen, – dieser Lafite von achter Ernte geht recht mild ins Gemüt, und ich für mein Teil verschwör' es nicht ganz, daß ich nicht später noch bei ihm anklopfe, – aber freilich ist der eilfer Piesporter Goldtropfen hier ganz danach angethan, monogame Neigungen zu erwecken, wenn man sich einmal mit ihm eingelassen. Unsere lieben Deutschen sind ein vertracktes Volk, das seinen Propheten allzeit soviel zu schaffen macht, wie die Juden den ihren, allein ihre Weine sind nun einmal das Edelste, was der Gott zu bieten hat.«
    Werner lachte ihm nur erstaunt ins Gesicht. Kirms aber, ein Mann mit schmalem, von lockigem grauen Haar bedecktem Oberkopf und schweren Augenlidern, erwiderte:
    {398} »Excellenz vergessen, es den schlimmen Deutschen zugute zu rechnen, daß sie Sie hervorgebracht haben.«
    Das Beifallsgelächter, das Meyer zur Linken und Riemer schräg gegenüber anstimmten, verriet, daß sie mit ihren Ohren bei dem Gespräch um den Hausherrn, nicht bei ihren Nachbarn waren.
    Goethe lachte ebenfalls, ohne die Lippen zu trennen, vielleicht um den Verfall seiner Zähne nicht blicken zu lassen.
    »Wir wollen das als einen passablen Zug gelten lassen«, sagte er. Und dann erkundigte er sich bei Charlotte, was sie zu trinken wünsche.
    »Ich bin des Weins nicht gewöhnt«, antwortete sie. »Er benimmt mir zu leicht den Kopf, und nur um der Freundschaft willen nippe ich wohl ein wenig mit. Wonach ich eigentlich fragen möchte, ist die Quelle da.« Sie wies mit dem Kopfe auf eine der ebenfalls aufgestellten Wasserflaschen. »Was mag es sein?«
    »O, mein Egerwasser«, erwiderte Goethe. »Ihre Neigung berät Sie ganz recht, der Sprudel kommt mir nicht aus dem Haus, unter allen Nüchternheiten der Erde ist er es, mit dem ich die besten Erfahrungen gemacht. Ich schenke Ihnen ein davon unter der Bedingung, daß Sie doch auch von diesem goldenen Geiste ein wenig kosten – und unter der weiteren, daß Sie die Sphären nicht vermischen und mir kein Wasser in Ihren Wein tun, was eine sehr üble Sitte ist.«
    Er besorgte an seinem Orte das Einschenken, während weiter gegen die Tischenden hin sein Sohn und andererseits Dr. Ridel das Geschäft versahen. Unterdessen wurden die Teller gewechselt und ein überbackenes Fisch-Ragoût mit Pilzen in Muscheln serviert, das Charlotte, obgleich es ihr an Eßlust fehlte, sachlich als ausnehmend schmackhaft beurteilen mußte. Gespannt auf alles, von einer still forschenden Aufmerksamkeit erfüllt, fand sie diesen Hochstand der Küche sehr interessant {399} und schrieb ihn den Ansprüchen des Hausherrn zu,

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