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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Schandtat abzugelten meinen, – was sein Rührendes neben dem Lächerlichen hat. Denn es kann im Kollektiven von Tat ja kaum, sondern nur von Geschehen {406} die Rede sein, und man betrachtet solche Ausbrüche besser als inkalkulable Naturereignisse, die der Seelenlage der Epoche entsteigen, wobei denn selbst noch das zu spät kommende Eingreifen einer doch immer vorhandenen übergeordneten und korrigierenden Humanität eine Wohltat ist: in unserm Falle das Dasein der römischen Majestät, welche so gut es geht die Ehre der Menschheit rettet, indem sie eine Untersuchung des argen casus anstellt und den zuständigen Magistrat formell mit einer Geldstrafe belegt.«
    Man hätte das grausige Vorkommnis nicht sachlich-beruhigender und kühl-versöhnlicher kommentieren können, als er es tat, und das, fand Charlotte, war wohl die rechte Art der Behandlung, wenn dergleichen bei Tische erträglich sein sollte. Charakter und Schicksal der Juden blieben noch eine Weile sein Gegenstand, wobei er Bemerkungen auffing und gleichsam mit verarbeitete, die von einem oder dem anderen Tafelgast, Kirms, Coudray, auch der gescheuten Meyer, gelegentlich eingeworfen wurden. Er äußerte sich über die Eigenart jenes merkwürdigen Volkes mit abrückender Ruhe und leicht belustigter Hochachtung. Die Juden, sagte er, seien pathetisch, ohne heroisch zu sein; das Alter ihrer Rasse und Blutserfahrung mache sie weise und skeptisch, was eben das Gegenteil des Heroischen sei, und wirklich liege eine gewisse Weisheit und Ironie selbst im Tonfall des einfachsten Juden – nebst entschiedener Neigung zum Pathos. Dies Wort aber sei hier genau zu verstehen, nämlich im Sinne des Leidens, und das jüdische Pathos eine Leidensemphase, die auf uns andere oft grotesk und recht eigentlich befremdend, ja abstoßend wirke, – wie denn ja auch der edlere Mensch vor dem Stigma und der Gebärde der Gottgeschlagenheit Regungen des Widerwillens und selbst eines natürlichen Hasses immer in sich zu unterdrücken habe. Sehr schwer seien die aus Gelächter und heimlicher Ehrfurcht ganz einmalig gemischten Gefühle eines guten Deutschen zu {407} bestimmen, der einen wegen Zudringlichkeit von derber Bedientenhand an die Luft beförderten jüdischen Hausirer die Arme zum Himmel recken und ihn ausrufen höre: »Der Knecht hat mich gemartert und gestäupt!« Jenem Durchschnitts-Autochthonen stünden solche starken, dem älteren und höheren Sprachschatz entstammenden Worte garnicht zu Gebote, während das Kind des Alten Bundes unmittelbare Beziehungen zu dieser Sphäre des Pathos unterhalte und nicht anstehe, ihre Vokabeln auf seine platte Erfahrung großartig anzuwenden. –
    Das war ja allerliebst, und die Gesellschaft erheiterte sich nicht wenig – für Charlottens Geschmack etwas zu laut – über den wehklagenden Hausirer, dessen mittelmeerländisch-pittoreskes Gebahren der Sprecher zu bestem Wiedererkennen nachgeahmt oder doch in rasch einsetzender und wieder aufgehobener Mimik angedeutet hatte. Charlotte selbst mußte lächeln, aber sie war zu wenig bei der Sache, und zu viele Gedanken kreuzten sich in ihrem Kopf, als daß sie es in der Belustigung weiter als bis zu diesem etwas mühsamen Lächeln gebracht hätte. Der Einschlag von Devotion und Liebedienerei im Beifallslachen der Runde flößte ihr eine ungeduldige Verachtung ein, weil es ihr Jugendfreund war, dem er galt, allein eben deshalb fühlte sie sich auch wieder persönlich davon geschmeichelt. Natürlich hatten sie gerührt zu sein von der – wie an seinem Munde zu sehen war – nicht immer mühelosen Freundlichkeit, mit der er ihnen aus seinem Reichtum spendete. Hinter allem, was er gesellig zum Besten gab, stand ja sein großes Lebenswerk und verlieh seinen Aeußerungen eine Resonanz, die eine unverhältnismäßige Dankbarkeitsreaktion begreiflich machte. Das Seltsame war außerdem, daß sich in seinem Falle das Geistige auf eine sonst nicht vorkommende Weise, für den Respekt nicht mehr unterscheidbar, mit dem Gesellschaftlich-Amtlichen vermischte; daß der große Dichter {408} von ungefähr – und auch wieder nicht nur von ungefähr – zugleich ein großer Herr war, und daß man diese zweite Eigenschaft nicht als etwas von seinem Genie Verschiedenes, sondern als dessen weltlich-repräsentativen Ausdruck empfand. Der abrückende und jede Anrede umständlich machende Titel »Excellenz«, den er führte, hatte ursprünglich so wenig wie der Stern auf seiner Brust mit seinem Dichtertum zu

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