Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
wurde bei einem Dilettantenkonzert entdeckt, vom Flecke weg warb der Direktor einer {415} Theatergesellschaft sie an, und so lebhaft war das Entzücken, das sie erregte, daß ihr ein Musik-Enthusiast beim ersten Auftreten in Florenz für sein Billet statt einem Scudo hundert Zechinen schenkte. Sie verfehlte nicht, von diesem ersten Glücksgelde sogleich an ihre Eltern reichlich abzugeben, und steil ging es aufwärts mit ihr, sie wurde zum Stern des musikalischen Himmels, Reichtümer strömten ihr zu, und ihre vornehmste Sorge blieb immer, die Alten daheim mit allem Wohlsein zu umgeben, – wobei man aufgefordert wurde, sich das verschämte Behagen des Vaters vorzustellen, dessen Unfähigkeit sich durch die Energie und Treue eines glänzenden Kindes wettgemacht fand. Damit nun aber waren die Wechselfälle dieses Lebens nicht beendet. Ein reicher Bankier von Wien verliebte sich in sie und trug ihr seine Hand an. Wirklich sagt sie der Bühne Valet, um seine Frau zu werden, und ihr Glücksschiff scheint in den prächtigsten, sichersten Hafen eingelaufen. Der Bankier aber machte bankerott, er starb als Bettler, und aus der üppigen Geborgenheit einer Reihe von Jahren kehrt die Frau, schon nicht mehr jung, aufs Theater zurück. Der größte Triumph ihres Lebens erwartet sie. Das Publikum begrüßt ihr Wiedererscheinen, ihre erneuerte Leistung mit Huldigungen, die ihr erst begreiflich machten, was sie aufgegeben und den Menschen entzogen, als sie die Werbung des Crösus als krönenden Abschluß ihrer Carrière ansehen zu sollen gemeint hatte. Dies umjubelte Wiederauftreten nach der Episode bürgerlich-gesellschaftlichen Glanzes war der glücklichste Tag ihres Lebens, und erst er eigentlich machte sie mit Leib und Seele zur Künstlerin. Sie lebte jedoch danach nur noch einige Jahre.
An diese Geschichte knüpfte der Erzähler Bemerkungen, die sich auf die eigentümliche Lockerkeit, Gleichgültigkeit und Unbewußtheit in dem Verhältnis der sonderbaren Person zu ihrer künstlerischen Berufung bezogen und, unter entspre {416} chenden leichten und souveränen Gebärden, das Wohlgefallen der Zuhörer an dieser Art von Nonchalance beleben zu wollen schienen. Eine tolle Christin! Sonderlich ernst und feierlich hatte sie es, bei so großen Gaben, mit ihrer Kunst, und mit der Kunst überhaupt, offenbar nie genommen. Nur um ihrem gesunkenen Vater aufzuhelfen, hatte sie sich überhaupt entschlossen, ihr bis dahin von jedermann und auch von ihr unbeachtetes Talent zu praktizieren und es dauernd in den Dienst der Kindesliebe gestellt. Die Bereitwilligkeit, mit der sie bei erster, nüchtern sich empfehlender Gelegenheit, gewiß zum Jammer der Impresarien, die Ruhmesbahn wieder verlassen und sich ins Privatleben zurückgezogen, war bemerkenswert, und alles sprach dafür, daß sie in ihrem Wiener Palais der Kunstübung nicht nachgeweint, den Duft des Kulissenstaubes und der ihren Rouladen und Staccati gezollten Blumenopfer unschwer entbehrt hatte. Als freilich das harte Spiel des Lebens es verlangt hatte, war sie kurzerhand zur öffentlichen Produktion zurückgekehrt. Und nun war eindrucksvoll genug, wie die Frau mit der ihr von den Kundgebungen des Publikums aufgedrungenen Erkenntnis, daß die Kunst, auf die sie nie viel Gewicht gelegt und die sie mehr oder weniger als Mittel zum Zweck betrachtet hatte, immer ihre ernstliche und eigentliche Bestimmung gewesen war, nicht mehr lange hatte leben sollen, sondern kurze Zeit nach ihrem triumphalen Wiedereinrücken ins Kunstreich gestorben war. Offenbar war ihr dieser Lebensbescheid, die späte Entdeckung, daß sie zu einem Dasein wirklicher Identifikation mit dem Schönen bestimmt sei, nicht gemäß – die Existenz als bewußte Priesterin nicht zukömmlich, nicht möglich gewesen. Die untragische Tragik im Verhältnis des begnadeten Geschöpfes zur Kunst, ein Verhältnis, worin Bescheidenheit und Überlegenheit sehr schwer zu unterscheiden seien, habe ihn, den Berichterstatter immer ausnehmend angesprochen, und wohl hätte er gewünscht, die Bekanntschaft der Dame zu machen.
{417} Das hätten, so gaben sie zu verstehen, auch die Zuhörer gern getan. Der armen Charlotte lag weniger daran. Irgend etwas tat ihr weh und beunruhigte sie an der Geschichte oder doch an dem Kommentar, den sie erfahren. Sie hatte um des eigenen Gemütes, aber auch um des Erzählers willen Hoffnungen gesetzt auf die moralische Rührung, die von dem Beispiel thätiger Kindestreue ausgehen wollte; dann aber hatte der
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