Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
Vom Netzwerk:
tun, es waren Attribute des Favoriten und Ministers; aber diese Distinktionen hatten den Sinn seiner geistigen Größe mit aufgenommen, dergestalt, daß sie nach einem tieferen Ursprung dennoch mit ihr zusammen zu gehören schienen. Leicht möglich, dachte Charlotte, daß sie es auch für sein eigenes Bewußtsein taten.
    Sie hing dem nach, ungewiß, ob es der Mühe wert war, dabei zu verweilen. In dem dienstwilligen Lachen der Anderen drückte jedenfalls das Wohlgefallen an dieser Persönlichkeits-Kombination von Geistigem und Irdischem, der Stolz darauf, eine unterwürfige Begeisterung dafür sich aus, und von einer Seite her fand sie das nicht recht und gut, auf eine Art revoltierend. Sollte sich bei genauerer Prüfung herausstellen, daß dieser Stolz und diese Begeisterung geschmeichelter Knechtssinn waren, so war die Berechtigung ihrer Nachdenklichkeit und eines gewissen damit verbundenen Kummers erwiesen. Ihr war, als sei es den Leuten zu leicht gemacht, sich vor dem Geistigen zu beugen, wenn es mit Stern und Titel, in einem Kunst-Hause mit Paradetreppe wohnend, als eleganter und glanzäugiger Greis sich darstellte, dem das feine Haar angewachsen war wie dem Jupiter dort, und der mit ambrosischem Munde sprach. Das Geistige, dachte sie, hätte arm, häßlich und irdischer Ehren bloß sein sollen, um die Fähigkeit der Menschen, es zu verehren, auf die rechte Probe zu stellen. Sie sah zu Riemer hinüber, weil ein Wort in ihr widerklang, das er gesprochen und das sich ihr ins Ohr gehängt hatte: »Es ist bei alldem kein Christentum.« Nun, dann nicht, dann also kein {409} Christentum. Sie wollte nicht urteilen und hatte gar keine Lust, es mit irgend einer der Maulereien zu halten, die der zur Gekränktheit geneigte Mann in seine Hymnen auf den Herrn und Meister gemischt hatte. Aber sie schaute nach ihm, der ebenfalls ergebensten Beifall lachte, während dabei ein kleiner Wulst von Versonnenheit, Widerstand, Gram, kurz von Maulerei zwischen seinen bemühten Rindsaugen lag … Und dann ging ihr sanft aber eindringlich forschender Blick zwei Plätze weiter, an Lottchen vorbei zu August, dem beschatteten und ausschreitenden Sohn, der den Makel trug, nicht als Freiwilliger ins Feld gezogen zu sein, und das Persönchen heiraten würde: nicht zum erstenmal, während des Essens, sah sie nach ihm. Schon als sein Vater von dem geschickten Kutscher erzählt hatte, der das Umwerfen auf dem löcherigen Wege zu vermeiden gewußt, hatte sie den Kammer-Rat fixiert, weil ihr dabei die eigentümliche Art in den Sinn gekommen war, in der er ihr von jener mißglückten Abreise, dem Unfall ihres Jugendfreundes mit Meyer, dem Sturz der feierlich sich ihrer bewußten Größe in den Straßengraben erzählt hatte. Und jetzt, beim Hin und her Blicken zwischen dem Famulus und ihm, wandelte plötzlich ein Argwohn, ein aufzuckender Schrecken sie an, der sich nicht nur auf diese beiden, sondern auf alle Umsitzenden bezog: es kam ihr entsetzlicher Weise einen Augenblick so vor, alsob die devote Lautheit des allgemeinen Lachens etwas anderes übertönen und verdecken sollte, etwas desto Unheimlicheres, als es wie eine persönliche Bedrohung, eine Bedrohung für sie selber war und zugleich die Einladung in sich trug, sich als eine Zugehörige daran zu beteiligen.
    Gottlob, es war eine sinnlose, nicht einmal bei Namen zu nennende Anfechtung. Liebe, nur Liebe schwang in dem Lachen rund um den Tisch und sprach aus den Augen, die an den heiter-bedachtsam plaudernden Lippen des Freundes hingen. Man hoffte auf mehr und erhielt mehr. Luthers patriarchali {410} sches Tischgespräch – als sonore und geistreiche Plauderei ging es weiter, indem es das Thema vom Juden ein Stück noch verfolgte – und zwar mit einer übergeordneten Billigkeit, der man zutraute, daß auch sie den Rat von Eger mit einer korrigierenden Geldstrafe belegen würde. Goethe rühmte die höheren Spezialbegabungen dieses merkwürdigen Samens, den Sinn für Musik und seine medizinische Kapazität, – der jüdische und der arabische Arzt hätten durch die ganze Mittelzeit das vorzügliche Vertrauen der Welt genossen. Ferner sei da die Literatur, zu der dies Geblüt, hierin den Franzosen ähnlich, besondere Beziehungen unterhalte: man möge nur wahrnehmen, daß selbst Durchschnittsjuden meist einen reineren und genaueren Styl als der National-Deutsche schrieben, der zum Unterschiede von südlichen Völkern der Liebe zu seiner Sprache, der Ehrfurcht davor und der genießenden

Weitere Kostenlose Bücher