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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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lachte er und erwiderte: ›Gutes Kind‹, sagte er, ›ich kann's nicht ändern, wenn euch zuweilen die Köpfe heiß werden von meinen Tränken.‹ Daß er mich, einen Menschen von über vierzig, der ihn in manchen Stücken zu belehren vermag, ›Gutes Kind‹ nennt, mag an und für sich ins Sonderbare fallen, mir aber macht es das Herz sowohl weich wie stolz, und jedenfalls beweist es eine Vertraulichkeit, worin der Unterschied von hohen und niederen, von würdigen und unwürdigen Dienstleistungen sich völlig aufhebt. Gemeine Schreiberdienste? Ich muß doch lächeln, verehrteste Hofrätin. Es ist ja an dem, daß ich durch lange Jahre einen großen Teil seiner Korrespondenz nicht etwa nur diktatweise, sondern ganz selbständig für ihn, oder richtiger gesagt: als er selbst geführt habe, – an seiner Statt und in seinem Namen und Geiste. Hier nun kommt es, wie Sie sehen, mit der Selbständigkeit auf solchen Grad, daß sie gleichsam dialektisch in ihr Gegenteil umschlägt und zur totalen Selbstentäußerung wird, dergestalt, daß ich überhaupt nicht mehr vorhanden bin und nur er noch aus mir redet. Denn ich bewege mich in so kurialisch geisterhaften und hochverschnurrten Wendungen, daß diejenigen seiner Briefe, die von mir sind, goethischer sein mögen als die {82} von ihm diktierten; und da in der Gesellschaft meine Tätigkeit wohlbekannt ist, so herrscht oft der quälendste Zweifel, ob ein Brief von ihm ist oder von mir – eine törichte und eitle Sorge, wie man tadelnd hinzufügen muß, denn es läuft auf dasselbe hinaus. Zweifel freilich hege auch ich, und sie betreffen das Problem der Würde, das eines der schwierigsten und beunruhigendsten bleibt. In der Aufgabe des eigenen Mannes-Ich mag wohl, allgemein gesprochen, etwas Schändliches liegen – wenigstens argwöhne ich zuweilen, daß es darin liegt. Wenn man aber auf diese Weise zu Goethe wird und seine Briefe schreibt, so ist eine höhere Würdigung doch auch wieder nicht vorstellbar. Auf der anderen Seite – wer ist er? Wer ist er nach allem und zuletzt, daß es nur überaus ehrenvoll und garnichts anderes sein sollte, sich in ihm zu verlieren und ihm sein Lebens-Ich aufzuopfern? Gedichte, herrliche Gedichte – Gott weiß es. Ich bin auch Poet, anch'io sono poeta, ein unvergleichlich geringerer als er, mit Zerknirschung spreche ich es aus, und ›Es schlug mein Herz‹ geschrieben zu haben oder den Ganymed oder ›Kennst du das Land‹ – nur eines davon – o, meine Teuerste, was gäbe man nicht dafür, – gesetzt man hätte gar viel zu geben! So frankfurterische Reime freilich, wie er sich öfters leistet, kommen bei mir nicht vor, zum ersten weil ich kein Frankfurter bin, dann aber auch, weil ich sie mir nicht erlauben dürfte. Sind sie jedoch das einzig Menschliche an seinem Werk? Mitnichten, gewiß nicht, denn zuletzt ist es Menschenwerk und setzt sich keineswegs nur aus Meisterwerken zusammen. Auch ist er des Wahnes garnicht, es tue das. ›Wer liefert auch lauter Meisterwerke?‹ äußert er gern und mit vielem Recht. Den ›Clavigo‹ hat ein gescheiter Jugendfreund von ihm, Merck, aber Sie kennen ihn ja, einen ›Quark‹ genannt, und er selbst scheint nicht gar weit ab von dieser Meinung, denn er pflegt davon zu sagen: ›Muß ja doch nicht immer alles über alle Begriffe sein!‹ Ist das nun Bescheidenheit oder was ist es? Es ist {83} eine verdächtige Bescheidenheit. Und doch ist er auch wieder wahrhaft bescheiden in seines Herzens Grunde, bescheiden wie ein andrer an seiner Statt es vielleicht nicht wäre, und sogar kleinlaut hab' ich ihn schon erfunden. Nach Beendigung der ›Wahlverwandtschaften‹ war er tatsächlich kleinlaut und hat erst später über diese Arbeit so hoch denken gelernt wie es zweifellos geboten ist. Ist er doch empfänglich für Lob und läßt sich gern überzeugen, daß er ein Meisterwerk geschaffen habe, ob er gleich vorher ernstliche Zweifel darüber gehegt. Man darf freilich nicht vergessen, daß sich mit seiner Bescheidenheit ein Selbstbewußtsein paart, das schlechterdings ins Stupende geht. Er ist imstande, von seiner seltsamen Artung, von gewissen Schwächen und Schwierigkeiten seiner Natur zu sprechen und mit unbefangenster Miene hinzuzusetzen: ›Dergleichen möchte denn als die Kehrseite meiner gewaltigen Vorzüge zu betrachten sein.‹ Der Mund bleibt einem offen stehen, ich versichere Sie, wenn man es hört, und fast grauen möchte es einem vor soviel Einfalt, wenn man sich freilich gesteht,

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