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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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daß eben die Vereinigung außerordentlicher Geistesgaben mit solcher Naivität es ist, die das Entzücken der Welt hervorbringt. Aber soll man sich damit zufrieden geben? Ist es auch wohl eine hinlängliche Rechtfertigung für das Mannesopfer? Warum nur er? frage ich mich oft, wenn ich andere Dichter lese, den frommen Claudius, den lieben Hölty, den edlen Matthisson. Ist da nicht der holde Laut der Natur, nicht Innigkeit und traute deutsche Melodie wie nur je bei ihm? ›Füllest wieder Busch und Tal‹ ist ein Juwel, ich gäbe mein Doktordiplom dafür, nur zwei Strophen davon gemacht zu haben. Aber des Wandsbeckers ›Der Mond ist aufgegangen‹, ist das soviel geringer, und müßte er sich der ›Mainacht‹ von Hölty schämen: ›Wann der silberne Mond durch die Gesträuche blinkt‹? Durchaus nicht. Im Gegenteil! Man kann nur froh sein, daß neben ihm sich Andere frisch behaupten, sich nicht von seiner Größe erdrücken und {84} lähmen lassen, sondern seiner Naivität die ihre entgegensetzen und singen als gäb' es ihn nicht. Man sollte ihr Lied deswegen noch desto höher ehren, denn nicht ganz allein auf den absoluten Wert eines Produktes sollte es ankommen, sondern auch eine sittliche Wertung statthaben dürfen, welche nach den Bedingungen sieht, unter denen etwas getan ward. Ich frage: Warum nur er? Was kommt hinzu bei ihm, das ihn zum Halbgott macht, ihn zu den Sternen erhebt? Ein großer Charakter? Aber was ist es denn mit diesen Eduard, Tasso, Clavigo und selbst diesen Meister und Faust? Gibt er sich selbst, so gibt er Problematiker, Schächer und Schwächlinge. Wahrhaftig, ich habe Stunden, teuerste Frau, wo ich an Cassius' Worte denke im ›Cäsar‹ des Briten: ›Götter! ich erstaune, wie nur ein Mann so schwächlicher Natur der stolzen Welt den Vorsprung abgewann, und nahm die Palm' allein.‹«
    Ein Schweigen trat ein. Die großen weißen Hände Riemers, mit dem goldenen Siegelring am Zeigefinger der Rechten, zitterten merklich trotz ihrer Ruhelage auf der Krücke des Stokkes, und auch das geschwinde Kopfnicken der alten Dame hatte wieder freien Lauf. Charlotte sagte:
    »Fast könnte ich mich gehalten fühlen, Herr Doktor, meinen und meines seligen Mannes Jugendfreund, den Dichter des ›Werther‹, eines Werkes, das Sie garnicht erwähnen, obgleich es doch die Basis seines Ruhmes und meiner Meinung nach das Herrlichste geblieben ist, was er geschrieben hat, – in Schutz zu nehmen gegen eine gewisse Opposition, die Sie – verzeihen Sie – seiner Größe zu machen scheinen. Aber ich bin dieser Versuchung oder Pflicht überhoben, sobald ich mich erinnere, daß Ihre – ich möchte sagen: Solidarität mit dieser Größe der meinen nichts nachgibt, daß Sie sein Freund und Helfer sind seit dreizehn Jahren, und daß Ihre Kritik – oder wie ich es nennen soll – kurz, was ich den Realism Ihrer Betrachtungsweise nannte, ein Maß von treuer Bewunderung zur Voraussetzung hat, {85} vor dem mein Eintreten, meine Verteidigung sich recht lächerlich, recht mißverständlich ausnehmen möchten. Ich bin eine einfache Frau, aber ich verstehe vollkommen, daß man gewisse Dinge nur sagt, weil man tiefer als jeder andere davon durchdrungen ist, daß der Gegenstand sie spielend aushalten kann, wobei denn wohl die Begeisterung die Sprache der Bosheit redet und die Hechelei zu einer anderen Form der Verherrlichung wird. Habe ich es damit getroffen?«
    »Sie sind sehr gütig«, antwortete er, »sich desjenigen anzunehmen, der es nötig hat, und mein Versprechen freundlich richtig zu stellen. Offen gestanden weiß ich nicht, was ich gesagt habe, aber Ihren Worten entnehme ich, daß es mir zustieß, mich zu versprechen. Die Zunge spielt uns wohl einen Streich im Kleinen, daß wir ein Wort oder zwei höchst komisch verdrehen und in das Lachen der Hörer einzustimmen genötigt sind. Anläßlich des Großen aber versprechen wir uns in großem Maßstabe, und ein Gott kehrt uns lange das Wort im Munde um, sodaß wir lobpreisen, wo wir zu schmähen – und fluchen, wo wir zu segnen gedachten. Ich stelle mir vor, daß der Saal der Himmlischen erfüllt ist von homerischem Gelächter ob solcher Niederlage unseres Mundes. Aber im Ernst: Es scheint nutzlos und inadäquat, vom Großen nur immer zu sagen ›Groß! Groß!‹ und beinahe läppisch, vom Gipfel der Liebenswürdigkeit lieblich zu reden. Darum aber handelt sich's hier, – um die sanfteste Form, worin Großheit auf Erden erscheinen mag: Das Dichtergenie; um

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