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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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sein auf sein Amt und es keinem Hohlkopf zu gönnen. Freilich ist zu bemerken, und zur Beruhigung muß man sich dran erinnern, daß es sich keineswegs um eine Schöp {77} fung des Augenblicks handelt, daß hier kein Wunder vom Himmel fällt, sondern daß nur ein durch Jahre, vielleicht durch Jahrzehnte Vorbereitetes und Gehegtes zu Tage tritt, wovon wieder ein bestimmter Teil vor der Arbeitsstunde unter der Hand im Einzelnen fürs Diktat genauestens reif gemacht wurde. Es ist zuträglich, sich gegenwärtig zu halten, daß man es nicht im mindesten mit einer Stegreif-Natur zu tun hat, sondern vielmehr mit einer zögernden und aufschiebenden, auch einer sehr umständlichen, unentschlossenen, vor allem einer äußerst ermüdbaren, von desultorischer Arbeitsweise, die nie lange bei ein und derselben Aufgabe aushält und bei der geschäftigsten, da und dorthin sich wendenden Tätigkeit meist viele Jahre braucht, um ein Werk zur Vollendung zu bringen. Es handelt sich um eine ganz auf geheimes Wachstum und stille Entfaltung angelegte Natur, die ein Werk lange, sehr lange, womöglich seit Jugendzeiten am Busen gewärmt haben muß, bevor sie zu seiner Verwirklichung schreitet, und deren Fleiß ganz wesentlich Geduld, will sagen: bei größtem Bedürfnis nach Abwechslung ein zähes und unablässiges Festhalten und Fortspinnen an einem Gegenstande durch ungeheuere Zeitstrecken ist. So ist es, glauben Sie mir, ich bin ein versessener Beobachter dieses Heldenlebens. Man sagt, und er selbst sagt es wohl, daß er schweige über das im Geheimen sich Ausbildende, um es nicht zu verletzen, und sich gegen niemanden darüber offenbare, weil kein anderer sich auf den intimen produktiven Reiz verstehen könne, wodurch es den entzücke, der es bewahrt. Allein die Schweigsamkeit ist nicht so ganz unverbrüchlich. Unser Hofrat Meyer, ich meine den Kunschtmeyer, wie er nach seinem Dialekt vom Zürichsee in der Stadt genannt wird, – Meyer also, auf den er nun einmal Wunder welche Stücke hält, berühmt sich höchstlichst, der Meister habe ihm aus den ›Wahlverwandtschaften‹, als er sich noch damit trug, des Langen und Breiten erzählt, und das mag wohl richtig sein, denn {78} auch mir hat er eines Tages den Plan auf das Ergreifendste entwickelt, nämlich schon bevor er sich Meyern darüber eröffnete, mit dem Unterschied, daß ich mich dessen nicht bei jeder Gelegenheit laut berühme. Was mich ergetzt, was mir wohltut an solchen Preisgebungen des Geheimnisses, an dieser Mitteilsamkeit und Durchlässigkeit ist das menschliche Bedürfnis, die unbezwingliche Zutraulichkeit, die sich darin hervortut. Denn wohltuend und tröstlich bis zur Erheiterung ist es, an einem großen Manne das Menschliche wahrzunehmen, ihm etwan auf kleine Schliche und Doubletten zu kommen, der Oekonomie gewahr zu werden, die auch in einem solchen für uns unübersehbaren geistigen Haushalt waltet. Vor drei Wochen, am sechszehnten August bemerkte er gesprächsweise zu mir etwas über die Deutschen, etwas Bissiges, man weiß, er ist auf seine Nation nicht immer zum Besten zu sprechen: ›Die lieben Deutschen‹, sagte er, ›kenn' ich schon; erst schweigen sie, dann mäkeln sie, dann beseitigen sie, dann bestehlen und verschweigen sie.‹ Das ist wortgetreu, ich habe es sogleich nach der Unterredung aufgezeichnet, weil ich es erstens vorzüglich fand und weil mir's zweitens als ein glänzendes Beispiel seiner wachen und hoch artikulierten Sprechkunst erschien, wie ihm die Stadien des schlechten deutschen Benehmens so scharf genau von den Lippen gingen. Dann aber erfuhr ich von Zelter – es ist Zelter in Berlin, von dem ich spreche, der Musikant und Chordirektor, den er ein wenig befremdender Weise des brüderlichen Du würdigt, – man muß sich vor solchen Erwählungen beugen, auch wenn man sich frei nach Grethchen zu sagen versucht ist: ›Begreife nicht, was er an ihm find't‹ – gleichviel! – Von Zeltern also höre ich, daß er ihm diesen Satz, von mir also am 16. notiert, unterm 9. aus Bad Tennstedt in einem Briefe haargenau so geschrieben, sodaß denn die Phrase, die ihm sehr gefallen haben muß, längst wohlgeformt Schwarz auf Weiß stand, da er sie mir im Gespräch als Impromptu servierte, – eine {79} kleine Mogelei, die man schmunzelnd ad notam nimmt. Überhaupt, auch die Welt eines so gewaltigen Geistes, so weit sie sei, ist eine geschlossene, eine begrenzte Welt, ein Einiges, darin die Motive sich wiederholen und in großen Abständen dieselben

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