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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Verwandelte unbeanstandet am Rande der Stadt hin zum Schloß geschafft, wo ihm der Kammerherr – und zwar in dem alten Teil, dem Thorgebäude der sogenannten Bastille, ein hoch unterm Dach gelegenes Zimmerchen als Versteck und Asyl im Einvernehmen mit der Verwaltung zubereitet hatte.
    Hier, vor aller Welt verborgen, hielt unser kühner Freund sein Krankenlager ab, das sich über mehrere Wochen erstreckte; denn zu der schwärenden Beinwunde hatte sich durch das Nächtigen im feuchten Stadtpark ein Brustkatarrh mit schwerem Husten gesellt, welcher Fieber und Schmerzen steigerte und dem Arzt Besorgnis hätte erregen können, wenn nicht die Jugend und gute Natur des Patienten und seine immer gleiche frohe Laune, die höchstens durch die Ungeduld getrübt wurde, wieder in den Krieg ziehen zu können, die heiterste Bürgschaft geboten hätten für sein Erstehen. Mit dem regelmäßig vorsprechenden Doktor und dem alten Kastellan, der dem Kranken seine Mahlzeiten brachte, teilten wir beide, Ottilie und ich, uns in seine Pflege und stiegen täglich die morsche Treppenfolge zu seinem verwunschenen Stübchen hinauf, um ihm Wein, Eingemachtes und kleine Leckerbissen, auch zerstreu {180} ende Lektüre zuzutragen, mit ihm zu plaudern, sobald sein Befinden es zuließ, ihm vorzulesen und Briefe für ihn zu schreiben. Er nannte uns seine Engel, denn hinter seiner nüchtern-flotten Art sich zu geben verbarg sich denn doch viel weiches Gemüt, und wenn er unsere schöngeistigen Interessen nicht teilte, sie lachend von sich wies und außer seiner Jurisprudenz nichts anderes als das Vaterland und seine Wiederaufrichtung im Sinne hatte, um derentwillen er jene im Stich gelassen, so gestanden wir uns gern, daß man die Poesie wohl verschmähen mag und nichts davon zu verstehen braucht, wenn man sie selber verkörpert, – und als die verkörperte Poesie in der Tat, als die Erfüllung unserer Träume erschien uns dieser schöne, gute und edle Mensch; sodaß es denn wohl geschah, daß nach einem Besuche bei ihm Ottilie mich im Hinabsteigen stumm und vielsagend in ihre Arme schloß und ich, in Erwiderung ihres Geständnisses, ihr den Kuß aufs innigste zurückgab, – ein Austausch, der uns bei den altertümlichen Eigenschaften der Treppe übrigens um ein Haar das Gleichgewicht gekostet hätte.
    Es waren Wochen voller Rührung und Gehobenheit; sie gaben unserem Mädchenleben den schönsten Inhalt, denn zu sehen, wie der Heldenjüngling, um dessen Bewahrung für das Vaterland wir uns verdient gemacht, nach kurzer Sorgenfrist von Wiedersehen zu Wiedersehen entschiedener der Genesung entgegenging, war überaus beglückend, und schwesterlich teilten wir uns in die Freude darüber wie überhaupt in die Empfindungen, die wir unserem herrlichen Pflegling weihten. Daß sich bei diesen in das Charitative und Patriotische Zarteres, Unaussprechliches mischte, und zwar in unser beider Herzen, sagt Ihnen wohl die eigene Ahndung; auch hier aber war es so, daß meine Gefühle diejenigen der liebreizenden Ottilie nur getreulich begleiteten und ihnen sozusagen den Vortritt ließen, – es lag das in der Natur der Dinge. Ein gemessener Teil von Ferdinands Dankbarkeit mochte auf mich unschönes Ding {181} entfallen, – bei seiner Geistesschlichtheit, die ihm so wohl, so herrlich zu Gesichte stand, und bei der daraus folgenden vollständigen Gleichgültigkeit gegen die Gaben, die ich anstatt äußeren Glanzes etwa ins Feld zu führen hatte, tat ich von Anfang an gut daran, weiter auf nichts zu hoffen und mich weislich in diesem Roman mit der Rolle der Vertrauten zu bescheiden. Darauf war meine Natur eingerichtet, und vor Eifersucht war ich nicht nur durch die Liebe zu meiner Freundin, den zärtlichen Stolz auf ihre Reize geschützt; auch nicht nur dadurch, daß Ferdinand uns tatsächlich mit großer Gleichmäßigkeit behandelte und, was ich denn doch mit menschlicher verzeihlicher Genugtuung bemerkte, auch gegen meinem Herzblatt über nie den Ton einer flotten Freundlichkeit veränderte; sondern noch etwas Drittes kam mir zu Hilfe: nämlich die Hoffnung, daß Ottilie durch dies neue und ungeahndete Erlebnis von ihrem Verhältnis zu August von Goethe, dieser mir so unheimlich, so unglückselig scheinenden Bindung, wirksam abgelenkt werden möchte. So machte ich denn kein Hehl aus meiner Zufriedenheit, meiner Erleichterung, wenn sie mir an meinem Halse gestand, was sie für Ferdinanden empfinde, sei denn doch etwas gänzlich Anderes, als was ihr Herz bisher

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