Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
den Freiwilligen gehen lassen! Was sagen Sie dazu? Der einzige junge Mensch von Stand, der hier zu Hause geblieben!‹ – Ich höre noch Frau von Schiller: ›Um keinen Preis, um nichts in der Welt hätte ich meinen Karl gehindert, hinauszugehen! Seine ganze Existenz, sein Wesen wäre zerknickt gewesen, – der Junge wäre mir melancholisch geworden.‹ – Melancholisch, – und wurde denn unser armer Freund es nicht? Er war es immer gewesen. Aber von diesem unseligen Zeitpunkt an vertiefte die Trübigkeit seiner armen Seele sich mehr und mehr und nahm Formen an, worin zerstörerische Neigungen, die seiner Natur {200} schon immer nahe gelegen, zum Durchbruch kamen: der unmäßige Weingenuß, der Umgang (ich fürchte, Ihr Ohr zu verletzen!) mit schlechten Weibern; denn seine Bedürftigkeit in dieser Hinsicht ist immer stark gewesen, und wonach ein sauberes Gemüt sich fragt, ist nur, wie sie sich mit seiner Schwermut und seiner von ihr überschatteten Liebe zu Ottilien vertrug. Wenn Sie mich fragen – denn ungefragt würde ich Bedenken tragen, mich darüber zu äußern –, so war bei diesen Debauchen der Wunsch im Spiel, sich seinen Manneswert, den die Gesellschaft bezweifelte, auf anderem, freilich weniger edlem Feld zu beweisen.
Meine Empfindungen bei alldem, wenn ich von ihnen reden darf, waren die zusammengesetztesten. Mitleid und Widerwillen stritten, was August betraf, um mein Herz; mit der Verehrung für seinen großen Vater stritt darin, wie gewiß bei vielen, die Mißbilligung seines zeitfremden Verbots an einen nur allzu gehorsamen Sohn, dem großen Zuge seiner Generation zu folgen. In alldies aber mischte sich heimlich die Hoffnung, Augusts schmähliche Rolle, sein erschüttertes Ansehen, seine stadtbekannten Ausschweifungen möchten ihm das Gefühl meines Lieblings entfremden, ich möchte des Kummers über dies ungemäße, gefahrdrohende Verhältnis endlich durch Ottiliens Verzicht, durch ihren Bruch mit einem jungen Mann überhoben sein, dessen Verhalten ihren heiligsten Überzeugungen so sehr entgegen war und dessen Umgang derzeit eine so zweifelhafte Ehre brachte. – Meine Teuerste – diese Hoffnung ging fehl. Ottilie, die Patriotin, die Verehrerin Ferdinand Heinke's, stand zu August, sie hielt fest an der Freundschaft mit ihm, sie entschuldigte, ja verteidigte ihn in Gesellschaft bei jeder Gelegenheit. Was man ihr Übles über ihn hinterbrachte, weigerte sie sich entweder zu glauben oder sie legte es hochherzig im Sinn einer romantischen Traurigkeit aus, einer Dämonie, zu deren Erlöserin das liebe Kind sich berufen fühlte. {201} ›Adele‹, sagte sie wohl, ›glaube mir, er ist nicht schlecht, auf keine Weise, mögen die Menschen auch schmählen über ihn wie sie wollen! Ich verachte sie und wollte, daß er besser diese Verachtung zu teilen wüßte, – dann würde er ihrer Bosheit weniger Stoff zum Hecheln liefern. Im Widerstreit zwischen den kalten, heuchlerischen Menschen und einer einsamen Seele, wirst du deine Ottilie immer auf der Seite des Einsamen finden. Kann man zweifeln an dem edlen Seelengrund des Sohnes dieses Vaters? Auch liebt er mich ja, Adele, und ich, sieh, bin ihm Liebe schuldig geblieben. Ich habe das große Glück – unser großes Glück mit Ferdinand genossen, und indem ich es in der Erinnerung weiter genieße, kann ich nicht umhin, es Augusten als ein Guthaben anzurechnen, als eine Schuld, an deren Einlösung sein dunkler Blick mich mahnt. Ja, ich bin schuldig vor ihm! Denn wenn wahr ist, was man ihm nachsagt und wovor mir freilich schaudert, – ist es nicht die Verzweiflung um meinetwillen, die ihn dazu vermag? Denn, Adele, solange er an mich glaubte, war er ja anders!‹
So sprach sie mehr als einmal zu mir, und auch hier waren meine Empfindungen geteilt und strittig. Denn es grämte mich, zu sehen, daß sie nicht loskam von dem Unseligen, und daß der Gedanke, sich ihm nach dem Wunsch seines großen Vaters auf ewig zu ergeben, wie ein Angelhaken in ihrer Seele saß. Aber auch süßen Trost wiederum und sittliche Beruhigung flößten ihre Worte mir ein; denn wenn mich bei ihrem Preußentum, ihrem kriegerisch-vaterländischen Sinn zuweilen heimlich eine Bangigkeit hatte anwandeln wollen, ob wohl gar in ihrem feinen und lichten Körper ein rohes, barbarisches Seelchen wohne, so ließ ihr Verhalten zu August, das Gewissen, das sie sich seinetwegen aus ihrer Neigung zu der schönen, einfachen Heldengestalt unseres Heinke machte, mich den verfeinerten
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