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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Edelmut, die zarte Schichtung ihrer Seele erkennen, und ich liebte sie deswegen noch einmal so herzlich, wodurch freilich wieder auch meine Sorge um sie sich verdoppelte. –
    {202} Im Mai dieses Jahres 14 kam die Kalamität mit August auf ihren Gipfel. Der Feldzug war beendet, Paris erobert, und am einundzwanzigsten des Monats kehrten die Weimarer Freiwilligen, verdient nicht gerade zum Höchsten um das Vaterland, aber doch ruhmgekrönt und gefeiert, in die Heimat zurück. Ich hatte diesen Augenblick immer gefürchtet, und er bewährte alle ihm innewohnende Mißlichkeit. Die Herren scheuten sich nicht, den zu Hause gebliebenen Standesgenossen ihren Hohn und Spott unverblümt und aufs grausamste merken zu lassen. Einmal mehr ward ich bei dieser Gelegenheit gewahr, wie gering mein Glaube ist an die übermächtige Echtheit der Empfindungen, aus welchen die Menschen zu handeln vorgeben. Nicht aus sich selbst handeln sie, sondern nach Maßgabe einer Situation, die ihnen ein bestimmtes, konventionelles Verhaltungsklischee an die Hand gibt. Ist es Grausamkeit, wozu die Situation Erlaubnis gibt – desto besser. Unbedenklich und gründlich nützen sie diese Erlaubnis aus, machen so ausgiebigen Gebrauch von ihr, daß man nicht zweifeln kann: Die meisten Menschen warten nur darauf, daß endlich einmal die Umstände ihnen Roheit und Grausamkeit freigeben und ihnen gestatten, nach Herzenslust brutal zu sein. – August hatte die Naivetät oder Trutzigkeit, den Kameraden in der Uniform der freiwilligen Jäger entgegenzutreten, wie es ihm als Adjutanten des prinzlichen Ehren-Chefs durchaus gebührte. Besonders damit aber – man kann es auch wieder verstehen – forderte er den Hohn der Kämpfer, ihre Beleidigungen heraus. Nicht umsonst sollte Theodor Körner gedichtet haben: ›Pfui über den Buben hinter dem Ofen, unter den Schranzen und hinter den Zofen! Bist doch ein ehrlos erbärmlicher Wicht!‹ Die Verse paßten vortrefflich und wurden laut genug citiert. Besonders tat ein Rittmeister v. Werthern-Wiehe sich in dem Eifer hervor, einer der Roheit so günstigen Situation das Letzte abzugewinnen. Er war es, der eine Anspielung auf Augustens Geburt und {203} Blut machte, welche, so sagte er, sein feiges und unkavaliersmäßiges Betragen denn wohl zur Genüge erklärten. Herr von Goethe hätte sich mit dem nie gebrauchten Säbel auf ihn gestürzt, wenn man ihm nicht in den Arm gefallen wäre. Eine Duellforderung unter schweren Bedingungen war das Ergebnis der Szene.
    Der Geheime Rat saß um diese Zeit im Bade Berka hier in der Nähe und schrieb am ›Epimenides‹. Er hatte den vom Berliner Intendanten Iffland ihm gemachten Antrag, ein Festspiel zur Heimkehr des preußischen Königs abzufassen, für so ehrenvoll und verlockend erachtet, daß er andere poetische Geschäfte zurückgestellt hatte, um seine mehrdeutig-seltsame, von allen Festspielen der Welt so hochpersönlich unterschiedene Siebenschläfer-Allegorie zu entwerfen. ›Doch schäm' ich mich der Ruhestunden‹, dichtete er, und: ›Zum Abgrund muß er doch zurück‹. Hierbei betraf ihn der Brief einer Verehrerin und Dame des Hofs, Frau von Wedel, der ihm die Lage Augusts, seinen Zusammenstoß mit dem Rittermeister und was sich daraus zu ergeben im Begriffe war, warnend meldete. Sofort traf der große Vater Gegen-Maßnahmen. Seine Verbindungen spielen zu lassen, sein Ansehen in die Schanze zu schlagen, um den Sohn, wie vom Schlachtendienst, so auch vom Duell zu befreien, bereitete ihm, wie ich ihn zu kennen glaube, eine gewisse Genugtuung noch über die Sorge um Augusts Leben hinaus; denn immer hat er seine Freude an der aristokratischen Ausnahme, an distinguierter Ungerechtigkeit gehabt. Er ersuchte die Warnerin um ihre Vermittlung, er schrieb an den Ersten Minister. Ein hoher Beamter, Geheimrat v. Müller kam nach Berka, der Erbprinz wurde, der Herzog selbst mit dem Handel befaßt, der Rittmeister zu einer Entschuldigung angehalten, der Streitfall applaniert. August, von höchster Stelle gedeckt, war unangreifbar, die kritischen Stimmen senkten sich, aber sie verstummten nicht; der unterbliebene Zwei {204} kampf verschärfte eher die öffentliche Geringschätzung seines Mannestums, man zuckte die Achseln, man mied ihn, kein harmlos gemütlicher Verkehr zwischen ihm und den Kameraden war hinfort auch nur denkbar, und obgleich Herr von Werthern gerade wegen jener rücksichtslosen Anspielung von oben her eine scharfe Nase erhalten hatte, ja mit Arrest bestraft

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