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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Pflaster klirren. Herr v. Kotzebue, {193} unser berühmter Theaterdichter, wollte eine Amazonenschar gründen, und ich bezweifle nicht, daß Ottilie, wär' es ihm gelungen, imstande gewesen wäre, sich dazu anwerben zu lassen, ja wohl gar auch mich dazu hingerissen hätte, so exzentrisch mich heute bei kühlerem Kopf die Idee auch anmutet. Es war nicht eben eine Zeit des guten Geschmacks, das nicht, und wem es nur um diesen zu tun war, nur um Kultur, Besonnenheit, zügelnde Selbstkritik, der kam nicht auf seine Kosten. Er kam zum Exempel nicht darauf bei den Poesieen, die jene aufgewühlte Epoche zeitigte, und die wir heute wohl widrig fänden, ob sie uns gleich damals Tränen popularischer Ergriffenheit in die Augen trieben. Das ganze Volk dichtete, es schwelgte und schwamm in Apokalypsen, Prophetengesichten, in blutigen Schwärmereien des Hasses und der Rache. Ein Pfarrer gab ein Spottpoem auf den Untergang der Großen Armee in Rußland an Tag, das im Ganzen wie in seinen Einzelheiten geradezu anstößig war. Liebste, die Begeisterung ist schön, allein wenn es ihr garzu sehr an Erleuchtung fehlt und exaltierte Spießbürger in heißem Feindesblut schwelgen, weil eben die historische Stunde ihnen ihre bösen Lüste freigibt, so hat das selbstverständlich sein Peinliches. Man muß es gestehen: Was damals von wütenden Reim-Ergüssen das Land überflutete zur Verhöhnung, Erniedrigung, Beschimpfung des Mannes, vor dem die Tobenden noch jüngst in Furcht und Glauben erstorben waren, das ging über Spaß und Ernst, durchaus über Vernunft und Anstand, umsomehr als es sich vielfach garnicht so sehr gegen den Tyrannen wie gegen den Emporkömmling, den Sohn des Volkes und der Revolution, den Bringer der neuen Zeit richtete. Selbst meiner Ottilie bereiteten die so holprigen wie schamlosen Schand- und Schimpfoden auf den ›Schneidergesellen Nicolas‹ stille Verlegenheit, ich merkte es ihr ab. Wie hätte da der Augustus deutscher Kultur und Bildung, der Dichter der Iphigenie nicht Betrübnis empfinden {194} sollen über die Geistesverfassung seines Volkes? ›Was nicht nach Lützows wilder Jagd klingt‹, klagte er – und klagte es uns durch den Mund seines Sohnes –, ›dafür hat kein Mensch keinen Sinn.‹ Es tat uns weh; aber vielleicht hätten wir begreifen sollen, daß er zugleich mit dem blutdürstigen Gestümper auch die Lieder der talentierten Freiheitssänger, der Kleist und Arndt, verwarf und sie ein schlechtes Beispiel nannte, – daß er sich vom Untergang seines Helden nur des Chaos und der Barbarenherrschaft versah.
    Sie sehen, ich suche, so wunderlich es mir zu Gesichte stehen mag, den großen Mann zu verteidigen, ihn zu entschuldigen von der Kälte und Unteilnahme, die er uns damals merken ließ, – ich tue es umso lieber, als seine Gesinnungsvereinsamung ihm selber viel Leid verursacht haben muß, mochte er auch in literarischer Hinsicht der Volksentfremdung, der klassischen Distanz zum Popularischen schon längst in gewissem Grade gewohnt gewesen sein. Was ich ihm aber nicht verzeihen kann, nie und nimmer, das ist, was er damals an seinem Sohne tat und was für dessen ohnedies dunkles Gemüt – und damit für Ottiliens Liebe – so schwere, so qualvolle Folgen haben sollte.
    Ende November des großen, furchtbaren Jahres denn also erließ Durchlaucht der Herzog nach preußischem Muster seinen Aufruf zum Freiwilligendienst, gedrängt dazu durch das oeffentliche Begehren, durch die Kampfeslust namentlich der Jenenser Professoren und Studenten, die darauf brannten, die Muskete zu tragen und eine schwungvolle Fürsprecherin in der Geliebten Serenissimi, der schönen Frau von Heygendorf, eigentlich Jagemann, hatten, – da allerdings andere Ratgeber des Fürsten der Sache entgegen waren. Minister von Voigt hielt dafür, das jugendliche Feuer sei weislich zu dämpfen. Nicht nötig, nicht wünschbar, meinte er, daß gebildete Menschen marschierten; Bauernburschen thäten es auch und besser. Die Studenten, die sich herandrängten, seien gerade die wohlbe {195} gabtesten, wissenschaftlich versprechendsten von Jena. Sie seien zurückzuhalten.
    Der Meinung war auch unser Meister. Man konnte ihn über die Freiwilligenfrage höchst mißfällig reden und gegen die Favoritin Ausdrücke gebrauchen hören, die ich gar vor Ihnen nicht wiederholen kann. Vor dem Stand des Berufssoldaten, sagte er, habe er alle Achtung, aber das Freiwilligenwesen, der Kleinkrieg auf eigene Hand und außer der Reihe, das sei eine

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