Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
worden war, so tat sich doch auch der Gedanke an Augusts unregelmäßige Geburt, seine Halbblütigkeit, wenn man so sagen darf, der fast vergessen gewesen war, wieder stärker im Bewußtsein der Menschen hervor und ging in den Tadel seines Verhaltens ein. ›Da sieht man es‹, hieß es. Und ›Woher soll's denn auch kommen?‹ Hinzufügen muß man freilich, daß die Geheime Rätin in ihrer Lebensführung dem Ernst der Zeiten wenig Rechnung getragen und durch ihre Vergnügungssucht dem Gerede immerfort Stoff – nicht bösen Stoff, aber doch lächerlich-unwürdigen – gegeben hatte. –
Am Ende sprach es für das Ehrgefühl von Ottiliens schwerfälligem Hofmacher, daß er sich die Sache tief und leidvoll zu Herzen nahm; und zwar ließ er uns, daß er es tat, auf eine sonderbar indirekte Weise gewahr werden: nämlich an seiner zunehmend leidenschaftlichen, ja verbohrten Verehrung für den besiegten Heros, den Mann von Elba. In der schwärmerischen Treue zu ihm, der Verachtung der ›Abtrünnigen‹, die nicht erinnert sein wollten, daß sie eben noch den Napoléonstag als des Jahres höchsten begangen, suchte er seinen Trost und Stolz – begreiflicher Weise; denn litt er nicht mit ihm und für ihn? Trug er nicht Spott und Schande, weil er nicht mit den anderen gegen ihn zu Felde gezogen war? Gegen einen über die Stimmungen und Tagesmoden der Menge erhabenen Vater konnte er offen den Gram über seine Bemakelung in der Form anhänglicher Begeisterung für den Kaiser zum Ausdruck bringen; er tat es auch gegen uns, rücksichtslos und in hartnäckigem Drange, ungeachtet er durch solche Reden Ottiliens Emp {205} findungen mit Füßen trat; und so duldend sie, freilich Thränen in ihren schönen Augen, seine egoistischen Exzesse über sich ergehen ließ (denn sich selbst tat er ein Gutes damit, gleichgültig gegen den Schmerz, den er anderen zufügte, ja vielleicht noch angespornt durch ihn), – so schien meinen geheimen Wünschen nun dennoch Erfüllung zu winken; denn daß das zart-gewissenhafte Gefühl meiner Freundin für August diesen Mißhandlungen auf die Dauer standhalten würde, war umso unwahrscheinlicher, als sich hinter seinem insistenten Napoléonkult noch etwas anderes verbarg, oder vielmehr kaum verbarg, – sich darein kleidete und auch wieder nackt und bloß daraus hervortrat: nämlich die Eifersucht auf den jungen Heinke, der wieder unter uns weilte, und den August unablässig vor unseren Ohren als den Erztyp des der Barbarei verbündeten und Cäsars kontinentalen Heilsplan stupide durchkreuzenden Teutomanen verhöhnte.
Ja, unser Findling war wieder in Weimar, – genau gesagt: schon zum zweiten Mal war er wieder da. Nach der Schlacht bei Leipzig bereits hatte er einige Wochen lang als Adjutant des preußischen Befehlshabers in unserer Stadt Dienst getan, auch wieder in der Gesellschaft verkehrt und sich der allgemeinen Beliebtheit erfreut. Jetzt, nach dem Fall von Paris, war er aus Frankreich zurückgekehrt, geschmückt mit dem Eisernen Kreuz; und Sie verstehen wohl, daß, dieses heilige Zeichen auf seiner Brust zu sehen, unsere mädchenhaften Gefühle, und namentlich diejenigen Ottiliens, für den herrlichen Jüngling zum freudigsten Aufflammen brachte. Was dabei ein wenig dämpfend wirkte, war das gleichmäßig-sonnig-freundliche, das immer dankbare, aber einigermaßen zurückhaltende Betragen, dessen er sich bei häufigem Zusammensein, wie immer schon, gegen uns befleißigte und das, wir gestanden es uns, mit den Empfindungen, die wir ihm entgegenbrachten, nicht ganz übereinstimmen wollte. Gar bald sollte es seine natürliche und {206} für uns – auch das sei gestanden – leise ernüchternde Lösung finden. Ferdinand entdeckte uns, was er uns bisher, sei es aus welchem Grunde immer, verhehlt hatte, was uns zu offenbaren er nun doch wohl für seine Pflicht hielt: daß daheim in preußisch Schlesien eine geliebte Braut seiner warte, die er nächstens heimzuführen gedachte.
Die gelinde Verlegenheit des Gefühls, in die diese Eröffnung uns Freundinnen versetzte, wird zu begreifen sein. Ich rede nicht von Schmerz, von Enttäuschung, – dergleichen konnte nicht statthaben, denn unser Verhältnis zu ihm war das einer ideellen Begeisterung und Bewunderung, vermischt allenfalls mit dem Bewußtsein jenes Anrechtes auf seine liebenswerte Person, das uns als seinen Erretterinnen zustand. Er war uns mehr eine Personifikation als eine Person – möge auch das eine vom andern nicht immer klar
Weitere Kostenlose Bücher