Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Anmaßung und ein Unfug. Im Frühjahr war er bei Körners in Dresden gewesen, deren junger Sohn mit den Lützowern ritt – ohne Genehmigung, jedenfalls ohne Billigung des Kurfürsten, der dem Kaiser in treuer Verehrung anhing. Das sei im Grund ein rebellisches Benehmen und dies ganze eigenmächtige Treiben von Liebhaber-Soldaten eine Pfuscherei, mit der den Behörden nur Ungelegenheiten bereitet würden.
So der Gewaltige. Und mochte auch seine Distinktion zwischen regulärem und freiwilligem Dienst ein wenig künstlich, ein wenig vorgeschoben sein, da ja überall sein Herz nicht bei der vaterländischen Sache war, so muß man doch Eines sagen. Man muß sagen und zugeben, daß er im Punkte der Freiwilligen – sachlich, wenn auch nicht ideell gesprochen – vollkommen recht behielt. Ihre Ausbildung war oberflächlich, sie leisteten offen gestanden so gut wie nichts und erwiesen sich praktisch als überflüssig. Sie hatten unfähige Offiziere, zahlreiche Desertionen kamen unter ihnen vor, die längste Zeit war ihre Fahne überhaupt im Depot, und nach dem Siege in Frankreich schickte der Herzog sie mit einem Dankschreiben nach Hause, das eben nur Rücksicht nahm auf die volkstümlich-poetische Vorstellung von ihrer kriegerischen Herrlichkeit. Auch sind sie voriges Jahr, vor Waterloo, keineswegs wieder aufgeboten worden. Aber dies nur am Rande. Ohne Begeisterung wie er war, hatte unser Dichter gut nüchtern und klar sehen in dieser Sache, und wenn er von vornherein gegen das {196} Freiwilligenwesen war und der Heygendorf Lüsternheit und Soldatentollheit nachsagte – da sind mir nun doch ein paar von seinen argen Ausdrücken entschlüpft –, so eben hauptsächlich darum, weil er im Grund seines Herzens gegen den Befreiungskrieg überhaupt und die Wallungen war, die er mit sich brachte, – mit immer erneutem Kummer muß man es aussprechen.
Genug, der allerhöchste Aufruf erging, die Einschreibungen begannen, und 57 Jäger zu Pferd, zu Fuße aber sogar 97 kamen zusammen. All unsere Cavaliere, die ganze jüngere Herrenwelt trug sich ein: Kammerjunker v. Groß, Oberhofmeister v. Seebach, die Herren v. Helldorf, v. Häseler, Landrat von Egloffstein, Kammerherr v. Poseck, den Vizepräsidenten v. Gersdorff nicht zu vergessen, – kurz, alle. Es war guter Ton, es war de rigueur, aber eben daß es das war, daß die patriotische Pflicht die gesellschaftliche Form unerläßlichen Chics annahm, war das Schöne und Große. August von Goethe konnte garnicht umhin, sich anzuschließen, – auf private Gesinnungen kam es nicht an, sondern auf den Chic, den Ehrenpunkt, und er schrieb sich ein, ziemlich spät, als fünfzigster Jäger zu Fuß, ohne die Zustimmung seines Vaters eingeholt zu haben, – mit welchem es denn auch gleich nach geschehenem Schritt zu einer hitzigen Szene gekommen sein soll: Schwachköpfig und pflichtvergessen, so habe er, hörten wir, diesen Schritt genannt und vor Aerger dann tagelang mit dem Armen, der doch auch im Entferntesten nicht aus Enthusiasmus gehandelt, kein Wort gesprochen.
Wirklich war er ohne den Sohn wohl schwierig daran, und es gab nichts in ihm, was ihn über die Unbequemlichkeit hinweggehoben hätte. Seit Dr. Riemer das Haus verlassen und die Ulrich geheiratet hatte (nicht zuletzt Augusts wegen, der unverzeihlich hochfahrend, ja roh gegen den empfindlichen Mann gewesen war) versah ein gewisser John Sekretärsdienste bei dem Dichter, – ein nicht gern gesehener, wenig fähiger {197} Mann, der bald ganz entlassen werden sollte und neben dem der Vater den Sohn zu schriftlichen Arbeiten und hundert Besorgungen wohl ernstlich brauchte. Aber ebenso gewiß ist, daß die Vorstellung, ihn entbehren zu sollen, ihn ganz unverhältnismäßig erregte, und daß diese Unverhältnismäßigkeit eben mit seiner Animosität gegen die Freiwilligen-Idee zusammenhing – und mit weitergehenden Animositäten, von denen jene wiederum nur ein Ausdruck, für die sie ein Vorwand war. Um keinen Preis wollte er, daß August ins Feld zöge und setzte von Stund an alles daran, es zu verhindern. Er wandte sich an den Minister von Voigt, an Durchlaucht den Herzog selbst. Die Briefe, in denen er es tat und von deren Inhalt wir durch August Kenntnis erhielten, kann man nicht anders als tassohaft bezeichnen, – sie hatten die desperate und ausschreitende Maßlosigkeit dieses seines anderen Ich. Der Verlust des Sohnes, schrieb er, die Nötigung einen Fremden in das Innerste seiner Korrespondenz, seiner
Weitere Kostenlose Bücher