Lotterie der Liebe
aufgeschrien.
Jonathans Griff um ihren Oberarm war fest. Sie schüttelte seine Hand ab.
“Oh, du bist das!” Zweifelnd schaute sie ihn an. “Wohnst du hier?”
“Ja, auf der anderen Straßenseite. Warum lungerst du hier herum, noch dazu wie eine zwielichtige Frau gekleidet? Großer Gott! Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, du willst einen Mann besuchen.”
“Das will ich.” Amy klapperte mit den Zähnen. Regentropfen rannen ihr kalt über den Nacken. Sie sah Jonathan ungläubig die Augen aufreißen und fing zu lachen an. “Oh, nicht so, wie du denkst. Können wir bei dir darüber reden? Mir ist kalt, und außerdem bin ich ganz durchnässt.”
Erneut ergriff er sie am Arm und drängte sie entschlossen vorwärts. “Nein, das können wir nicht. Das wäre äußerst unschicklich. Ich bringe dich umgehend nach Hause.”
Wieder riss Amy sich von Jonathan los. “Das wäre zwecklos, weil ich dann genötigt wäre, noch einmal herzukommen. Ich kann nicht glauben, dass der berüchtigtste Frauenheld der Stadt mir mitten in der Nacht auf der Straße Moral predigen will. Bitte, Jonathan …”
Er seufzte irritiert. “Also gut, komm mit.”
Er führte Amy über die Straße und in sein Haus. Interessiert schaute sie sich um. Die Räume waren ein Spiegel ihres Eigentümers. Alles war sehr geschmackvoll, entbehrte jedoch der Wärme, ganz so, als unterdrücke er in seiner Umgebung ebenso wie in seinem Leben absichtlich jede Zurschaustellung persönlicher Gefühle. Amy schaute ihn an und sah, dass er sie beobachtete. Sogleich war sie genötigt, ihre Meinung zu ändern, denn sein Blick war brennend. Hastig wandte sie sich ab und begriff zu spät, welche Gefahr es bedeutete, die Wohnung eines berüchtigten Frauenhelden betreten zu haben.
“Eine Karaffe Cognac, Belton, und Wein für Miss Bainbridge.” Jonathan legte Hut und Mantel ab und übergab beides dem Butler, der schweigend ins Entree gekommen war. Amy begann sich etwas wohler zu fühlen.
“Nachdem Sie uns die Getränke gebracht haben, können Sie sich zurückziehen”, fuhr Jonathan fort.
“Wie Sie wünschen, Mylord”, erwiderte der Butler.
Amy biss sich auf die Unterlippe. “Oje, wie ungeheuer skandalös das ist! Vielleicht hätte ich nicht mitkommen sollen.”
“Natürlich hättest du das nicht tun dürfen.” Jonathan brachte sie in einen Salon. Kerzen brannten, und im Kamin flackerte ein Feuer. “Aber jetzt bist du hier. Möchtest du deinen Mantel ausziehen und den ziemlich ungewöhnlichen Hut absetzen?”
Amy begann, ihre Verkleidung abzulegen. Belton kam in den Raum, stellte ein Tablett mit Getränken ab und entfernte sich.
“Wie gut dein Butler mit einer so unschicklichen Situation umzugehen versteht, Jonathan!” Amy unterdrückte ein Gähnen. Die Wärme machte sie müde. “Zweifellos hat er viel Übung.”
Jonathan war nicht belustigt. “Nein. Er und ich führen ein sehr ruhiges Leben. In diesem Aufzug, Amy, siehst du aus, als würdest du gleich auf die Bühne des Drury Lane Theaters gehen. Was trägst du da Lächerliches auf dem Kopf?”
Sie zog die Nadeln, mit denen der schwarze Pelzhut festgesteckt war, aus der Frisur und schaute den Hut betrübt an. Der Regen hatte ihn in eine klumpige Masse verwandelt, und die Nässe troff aus dem Schleier. “Er sieht schrecklich aus, nicht wahr? Nun ja, Mama hat ihn nie gemocht. Ich nehme an, ich sehe ebenfalls fürchterlich aus. Würde dein Butler so freundlich sein, meinen Mantel aufzutrocknen?”
“Natürlich.” Jonathan schien sich einen inneren Ruck zu geben und nahm ihr das triefnasse Kleidungsstück aus den ausgestreckten Händen. Er war sorgsam darauf bedacht, sie nicht zu berühren. Plötzlich begriff sie. Brennende Röte stieg ihr ins Gesicht, als sie erkannte, dass sie nach Mitternacht mit ihm in seinem Salon allein war. Aber unschicklich oder nicht, sie empfand ein wohliges Prickeln.
“Ich hätte nicht erwartet, dass du zu dieser Stunde zu Hause sein würdest, Jonathan”, sagte sie und nahm das Glas Wein entgegen, das er ihr hinhielt. “Ich dachte, du würdest bei White’s spielen, oder …” Sie hielt inne und errötete noch mehr. Das hatte sie nun davon, dass sie ihren Gedanken freien Lauf gelassen hatte.
Jonathans Blick wirkte etwas amüsiert. “Ich befürchte, du hast bereits einen besseren Menschen aus mir gemacht, obwohl du das nicht vorhattest, Amy”, erwiderte er bedächtig. “Ich bin deshalb so zeitig nach Hause gekommen, weil ich festgestellt habe,
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