Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
er beugte sich über das Bett. Unsagbare Dankbarkeit überwältigte ihn, als er behutsam Rogers Gesicht und Hände betastete. Sie waren kühl und nur ein wenig feucht, und obwohl die Brust des Jungen sich kaum hob und senkte, atmete er doch friedlich.
Caleb wandte sich um. Er war so bewegt, daß sein Schluchzen seine Worte fast erstickte.
»Ach, Dolores – meine liebe, gute Dolores – er ist nicht tot! Er wird am Leben bleiben, weil du ihn gepflegt hast – ich hätte ihn niemals – retten können.«
Sie klammerte sich noch immer an den Bettpfosten an, und als er sie in die Arme schließen wollte, stieß sie ihn zurück.
»Du – du faßt mich besser nicht an.«
Die Worte klangen undeutlich. Heftige Angst ergriff ihn. Er packte sie an den Schultern und wandte sie um, so daß das Licht der Kerze auf ihr Gesicht fiel. Ihre Lippen waren flammend rot und geschwollen, ihre Augen blutunterlaufen. Sie wollte noch etwas sagen, aber diesmal brachte sie nur noch unverständliche Laute hervor. Ihre Beine versagten. Caleb fing sie auf, bevor sie zu Boden sank.
Christoph ging in den Gemüsegarten hinaus. Eigentlich durfte man nachts nicht in diese stickige Fieberluft gehen, aber er wollte nachdenken, und im Hause konnte er seine Gedanken nicht sammeln. Es war schrecklich dort drinnen. David lag in wilden Fieberphantasien, und noch vor kurzem hatte er heftig um sich geschlagen, als seine Mutter ihn halten wollte, damit ihm das Atmen leichter fiele. Ein Faustschlag traf sie so schwer, daß sie zu Boden sank. Zum Unglück stürzte sie mit dem Kopf gegen ein Stuhlbein, und die Wunde blutete stark. Sein Vater hatte dafür gesorgt, daß sie sich zu Bett legte.
Christoph setzte sich auf einen Baumstumpf und rauchte eine Pfeife. Seinem Vater gefiel es nicht, daß er schon rauchte, aber auf diese Weise konnte er wenigstens die Moskitos fernhalten. Ob David wohl sterben würde? Christoph liebte seinen Bruder, aber wenn David nicht durchkam, bedeutete das für ihn selbst mehr als einen persönlichen Verlust. Grimmig biß er die Zähne zusammen. Dann war er selbst in ein Gefängnis eingeschlossen und mußte den Rest seines Lebens hier zubringen. Sonderbar, daß ihm diese große Plantage wie ein Gefängnis erschien. Aber was konnte er dafür, wenn ihn dieses ewige Umpflügen und Graben zu Tode langweilte? Die leidenschaftliche Begeisterung für die Landwirtschaft, die David mit seinem Vater teilte, war ihm fremd. Die beiden konnten vor Erregung und Freude außer sich geraten, wenn wieder ein Stück Wald in ein Indigofeld verwandelt war. Aber nicht um sein Leben war es ihm möglich, zu beurteilen, ob die Indigoernte gut oder schlecht ausfallen würde. Er hatte auch nicht das geringste Interesse dafür. Aber der kleine Philip war tot, und wenn auch David noch sterben sollte, war er der einzige Sohn, der übrigblieb. Dann mußte er die Plantage als sein Erbe übernehmen.
Aber zum Himmeldonnerwetter, er wollte sie nicht haben! dachte Christoph in finsterem Groll. Niemand hatte ein Recht, sie ihm aufzuzwingen. Der Vater und David liebten die wachsenden Pflanzen so sehr, als ob sie menschliches Leben hätten. Natürlich war guter Indigo besser als schlechter, da sie ja von den Ernten lebten. Aber daß man nun jeden Tag auf die Felder hinausreiten mußte, um nachzusehen, wie sich die Blätter entfalteten und wie die Stengel reiften, das verstand er nicht. Das würde seinen Schaffensdrang niemals befriedigen. Sein Vater betrachtete die Plantage als seinen Besitz, der noch lange nach ihm weiterbestehen würde, als einen dauerhaften Ausdruck für die Lebenskraft seiner Familie. Auch David dachte nicht anders. Er fühlte sich wie ein Kronprinz, der stolz auf sein Erbe war.
Natürlich würde David die Sache so ansehen. David war so unglaublich tüchtig, nahezu vollkommen. Schon während ihrer Kindheit war er immer größer und stärker gewesen als Chris, er hatte schneller gelernt und besser begriffen. Der Vater strahlte vor Stolz, wenn David beim Spielen trockene Blätter in einen Kessel legte, sie schüttelte und so tat, als ob es Indigo wäre. Und als sie später zusammen zu Tanzvergnügen und Bällen gingen, hingen die Augen aller Mädchen an David. Er war wie ein Magnet, der alle anzog. Christoph haßte seinen Bruder nicht, nein, er schätzte ihn. Aber als David krank wurde, überkam Christoph doch ein leise triumphierendes Gefühl, daß er wenigstens in dem einen Punkt mehr Widerstandskraft zeigte und gesund blieb.
Bevor David
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