Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
getan. Niemals hatte Philip geahnt, daß auch in Gervaise leidenschaftliche Wünsche schlummern könnten, nachdem sie doch allem Anschein nach einen Kompromiß mit dem Leben abgeschlossen hatte. Er sah ihre Söhne an.
»Verstehen Sie denn nicht, was Ihre Mutter tut?« fragte er sie eindringlich. »Sie heiratet einen Kreolen. Vielleicht begreifen Sie nicht, was das bedeutet, aber ich würde es an Ihrer Stelle wenigstens versuchen.«
»Danke, Philip«, sagte Gervaise und wandte sich dann an die beiden. »Zweiundzwanzig Jahre lang habe ich alles getan, was man von mir erwartete. Ich war liebenswürdig, folgsam und wirtschaftlich, ich habe mich immer freundlich den Verhältnissen angepaßt, aber es hat mich innerlich kalt gelassen und gelangweilt. Jetzt ist das zu Ende. Ich habe mich verliebt. Ja – das mag euch verrückt oder herrlich erscheinen, je nach dem Standpunkt, den ihr einnehmt. Morgen heirate ich Louis Valcour. Wir werden in einem Haus in der Stadt wohnen, und ihr braucht nicht mit ihm zu sprechen, wenn euch nicht danach zumute ist. Aber einmal in meinem Leben tue ich, was mir gefällt.«
Die beiden schwiegen eigensinnig, als sie geendet hatte. Aber Philip sagte leise zu ihr:
»Ich bin stolz auf Sie, Gervaise.«
Sie lächelte, als ob sie sich darüber freute, daß sie wenigstens einen Menschen hatte, der sie verteidigte. Aber sie war ihrer Sache so sicher, daß sie eigentlich keine Unterstützung brauchte.
Harry und George seufzten.
»Zum Glück sind wir alt genug, um für uns selbst zu sorgen«, sagte Harry, der noch einen letzten Einwand erheben wollte. »Aber was soll aus den anderen Kindern werden?«
»Den kleinen Walter schicke ich in Neuorleans zur Schule, und Emily kann bei euch in Lynhaven bleiben oder mit mir kommen – ganz wie sie es wünscht.«
Philip lächelte Emily zu, die zusammengekauert in einem großen Sessel saß. »Nun, was wirst du tun, Miß Emily?« fragte er sie.
Sie sah ihn harmlos und unbefangen an. »Was soll ich denn tun? Sagen Sie es mir doch.«
»Ich glaube, daß du viel mehr Spaß hast, wenn du bei deiner Mutter bleibst.«
»Dann werde ich das tun.«
Gervaise beugte sich nieder und küßte sie. »Ich dachte mir schon, daß du mich begleiten würdest.«
*
Die Damen aus der Umgebung von Dalroy erklärten, es sei ein unglaublicher Skandal, daß Gervaise so schnell wieder heirate. Aber Gervaise kümmerte sich darum ebensowenig wie um das trockene Laub in ihrem Hinterhof. In heiterster Stimmung zog sie mit ihrem Mann in das kleine Haus in der Stadt, und einige Wochen lang überging sie alle mit ironischer Gleichgültigkeit und ließ sie reden, soviel sie wollten. Aber als dann die Flitterwochen vorüber waren, lud sie ihre aufgeregten Freundinnen zu einem Essen ein.
Natürlich kamen alle. Sie hatten ja gesagt, daß Gervaise noch sehen würde, wo sie hinkäme. Sicherlich würde dieser schamlose Mann ihr Herz brechen, der doch nur darauf ausging, sich ihre Mitgift anzueignen. Kein anderer Grund konnte einen jungen Mann von einunddreißig Jahren veranlassen, sich durch eine solche Heirat zum Stiefgroßvater zu machen. Alle waren gespannt, wie er aussah. Sie lernten einen schlanken Franzosen mit dunklem Haar und schwarzen Augen kennen. Sein feingeschnittenes Gesicht hatte einen etwas ironischen Ausdruck, als ob er sich heimlich über sie lustig machte. Er tanzte wunderbar und machte auch kein Geheimnis daraus, daß er sehr gut Klavichord spielen konnte. Judith und Philip gefiel er auf den ersten Blick. Sie waren sich darüber einig, daß Gervaise viel zu erfahren und zu klug war, um im Leben Schiffbruch zu erleiden, und sie waren entzückt über ihr jugendlich blühendes Aussehen. Ihnen gegenüber war Gervaise vollkommen offen.
»Es ist sonderbar, aber das hätte ich eigentlich vor zwanzig Jahren erleben sollen«, sagte sie lächelnd.
L. Valcour war ebenso offen. Er war von Neuorleans mit einer verhältnismäßig bescheidenen Summe nach Dalroy gekommen. Mehr hatte ihm sein Vater, ein leidenschaftlicher Spieler, nicht hinterlassen. Valcour hatte die Absicht, ein Lagerhaus auf der Werft von Purcell zu bauen, das die Kaufleute benützen konnten. Nach Walter Purcells Tod machte er einen Besuch in Lynhaven, um einen Vertrag mit den Erben zu schließen, und dabei hatte er Gervaise kennengelernt, die trotz ihrer Trauerkleidung nicht sehr niedergedrückt zu sein schien. Auf den ersten Blick hatte er sich in sie verliebt.
»Das soll Liebe sein!« sagte Mrs. St. Clair
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