Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
zusammenwuchsen.
»Also, was hast du daraufhin getan, Martha?« fragte er.
»Ich wollte nur an dem Klingelzug ziehen, da wurde sie ohnmächtig.«
Mr. Sheramy packte den Bettpfosten fester. »Martha«, sagte er langsam, »ich wußte nicht, daß du so sein könntest.«
»Um Himmels willen, Roger!« rief sie. »Diese Geschichte ist schon skandalös genug – willst du vielleicht irgendeinen ungebildeten Sträfling anerkennen, der behauptet, mit dir verwandt zu sein? Dann werden sie bald in Scharen an der Hintertür stehen.«
Er seufzte und warf einen Blick auf Esther. »Ich glaube, sie kommt wieder zu sich. Eins von den Mädchen soll etwas Kognak bringen.«
Er setzte sich neben das Bett. Esther konnte noch nicht sprechen, aber sie schaute dankbar zu ihm auf.
Roger war in einer schwierigen Lage. Nachdem Esther gegessen und sich ausgeruht hatte, mußte sie ihm ihre Geschichte noch einmal erzählen. Ihr Bericht klang überzeugend. Von seinem Vater hatte er niemals viel über seine Mutter erfahren. Wenn Caleb nach ihrem Tode ihre anderen Kinder wirklich hätte finden wollen, dachte Roger, hätte er wohl Erfolg haben können. In einem Punkt mochte Martha allerdings recht haben. Wenn die Geschichte öffentlich anerkannt wurde, dann würde ein ganzer Strom von armen Verurteilten zu ihm kommen, die ihn belästigten und um Hilfe baten – nur unter dem Vorwand, mit ihm verwandt zu sein. Aber sein natürliches Gerechtigkeitsgefühl entschied für Esther. Ganz gleich, ob Gideon Upjohn ein Sohn von Dolores war oder nicht, wenn er einen Mann unter solchen Umständen getötet hatte, durfte er deshalb nicht an den Galgen kommen. Roger sagte das Martha, als er sie am Nachmittag weinend in ihrem Zimmer fand.
»Es hat keinen Zweck, daß du so traurig bist, weil ich einem Mann helfen will, der in Not ist.«
Marthas Tränen glänzten an den Wimpern, als sie zu ihm aufschaute. Eine Locke hatte sich aus dem Netz gelöst und lag wie ein Seidenband auf ihrer Stirn.
»Lieber Roger«, erwiderte sie leise, »meinetwegen bin ich nicht traurig. Ich denke nur an Cyril.«
»An Cyril?« fragte er verwundert.
Martha setzte sich auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn. »Natürlich, Liebster. Siehst du denn nicht, was geschehen wird, wenn wir irgendeine Verwandtschaft mit solchen Leuten anerkennen? Die schmutzigen Kinder dieser Frau rufen dann, wenn sie Cyril auf der Werft sehen: ›Hallo, Vetter!‹ Und du weißt, was für ein Skandal entsteht, wenn die Frauen erst darüber klatschen. Das darfst du ihm nicht antun. Wir lieben doch unseren Jungen so sehr – bitte, tu es nicht, Roger!«
Sie legte ihre Wange an die seine und schmiegte sich an ihn. Wenn sie weinte, war er immer hilflos, und er war ihr auch jetzt nicht gewachsen. Immerhin versuchte er, seine Meinung durchzusetzen.
»Martha, du verlangst von mir, hart und herzlos zu sein. Willst du wirklich, daß ich gleichgültig sein soll, wenn ein Unschuldiger gehängt wird? Ich soll mich nicht einmal darum kümmern, daß sein Fall vor Gericht ordentlich verhandelt wird?«
»Aber du bist doch nicht verantwortlich für das, was ihm geschehen ist.« Wieder sah sie ihn bittend an. Er fühlte, wie eine ihrer Tränen seine Wange herunterlief. »Und ich bin ebensowenig schuld daran.«
»Hat Mrs. Upjohn dir eigentlich gesagt, daß sie aus ihrer Wohnung herausgesetzt wurde, weil sie die Miete nicht bezahlen konnte?«
»Ja. Aber ich habe ihr doch Geld angeboten.«
»Gut – aber gehören die Häuser dort unten nicht deiner Familie?«
»Ich glaube. Der Grund und Boden war ein Teil des ursprünglichen Lehens vom König, das er der Familie St. Clair gab. Aber ist es denn meine Schuld, daß andere Leute ihre Miete nicht zahlen können?«
»Nein, Liebling. Aber wenn ich ein Landeigentümer bin, der dazu beiträgt, die Gesetze zu machen, muß ich mich auch dafür interessieren, daß sie gerecht angewandt werden. Außerdem ist Gideon Upjohn sehr wahrscheinlich mein Halbbruder, und wenn ich ihm nicht aus seiner gefährlichen Lage heraushelfe, werde ich selbst nie wieder Frieden finden.«
»Auch wenn er wirklich dein Halbbruder ist, bist du dafür nicht verantwortlich. Aber du bist verantwortlich für dein eigenes Kind. Soll Cyril denn später einmal ein Familienskandal anhängen, wohin er auch geht? Nein, das könnte ich nicht ertragen, Roger!« Sie legte die Hände vors Gesicht und begann wieder zu schluchzen, leise und hilflos.
Schließlich stand Roger auf und ging fort. In seiner
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