Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
Verzweiflung schickte er den Wagen nach Ardeith und gab dem Kutscher einen Brief an seine Tante Judith mit. Darin bat er sie, sofort nach Silberwald zu kommen. Er mußte mit jemand sprechen, der mehr von dem Leben seiner Mutter wußte als er selbst.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit traf Judith in Begleitung einer Dienerin ein, die ihr Gepäck trug. »Das ist mein Nachtkleid«, sagte sie zu Roger. »Du kannst nicht von mir verlangen, daß ich um Mitternacht auf dieser einsamen Straße zurückfahre. Aber was für Sorgen hast du denn, mein Junge? Deinen Brief konnte ich kaum lesen. Du mußt ganz kopflos gewesen sein, als du ihn schriebst.«
Roger atmete erleichtert auf und lachte. Er war so froh, daß er sie sah. Sie hielt nicht viel von Martha, das wußte er, und wenn der Fall nicht so dringend gewesen wäre, hätte er gezögert, sich an seine Tante zu wenden, um einen Streitfall zwischen ihnen beiden zu entscheiden. Aber Judith war klar und entschlossen in ihrem Denken und würde seine Überzeugung verstehen, daß er den Upjohns helfen mußte – trotz Marthas Tränen.
»Ganz kopflos bin ich gerade nicht«, begann er, als sie ins Wohnzimmer traten, »aber ich brauche deinen Rat. Du kanntest doch meine Mutter!«
»Ach«, sagte Judith. »Ich wußte bestimmt, daß diese traurige Geschichte wieder aufgewärmt würde. Was ist denn geschehen, Roger?«
Er erzählte ihr, daß Esther nach Silberwald gekommen war.
»Ich verstehe«, erwiderte Judith schließlich. »Und ich soll nun eine Lösung finden, die Gideon gerecht wird und auch Martha besänftigt.«
»Ja, das habe ich gemeint. Tante Judith, ist Gideon Upjohn wirklich mein Bruder?«
Judith bejahte. »Wo ist denn die junge Frau jetzt?« fragte sie.
»Hier im Hause. Sie war so schwach, daß wir sie heute nicht mehr fortschicken konnten. Ich habe mit ihr gesprochen. Sie will nichts weiter als in Frieden leben, und trotz allem, was Martha sagt, wäre das doch das wenigste, was wir für sie tun könnten.«
Judith betrachtete den feinen Rauch, der von der Kerze aufstieg. »Warum tust du es dann nicht, Roger? Ich weiß, daß du dich nicht mit Martha herumstreiten willst. Ich kann gerade nicht behaupten, daß ich sehr gut mit ihr auskomme, aber meiner Meinung nach ist es keine Sünde, wenn ein Mann in seine Frau verliebt ist. Nimm dir einen tüchtigen Rechtsanwalt, der dafür sorgt, daß der Fall Gideon Upjohn noch einmal vor Gericht verhandelt wird. Wenn jemand dich fragt, warum du das tust, kannst du ruhig sagen, die Frau des armen Menschen wäre zu dir gekommen und hätte an deiner Tür gebettelt. So hättest du ihre Geschichte erfahren und eben Mitleid mit ihr gehabt. Der Name Upjohn ist in unseren Kreisen nicht bekannt, und Martha braucht keinen Klatsch zu fürchten.«
»Großartig!« rief Roger erfreut. »Ich danke dir, Tante Judith. Dagegen kann Martha unmöglich etwas einwenden.«
Am nächsten Morgen sprach Judith mit Esther Upjohn, fuhr dann nach den Docks und zahlte eine Jahresmiete für eine anständige Wohnung, die sie Esther und ihren Kindern zur Verfügung stellte. Roger beauftragte einen bekannten tüchtigen Rechtsanwalt, Gideons Sache durchzufechten, und dieser setzte auch die Freilassung durch. Noch ehe der Fall entschieden war, sagte Roger sich selbst, daß er sich in diesem Fall als ein großzügiger, ritterlich denkender junger Mann gezeigt habe. Er hatte Gideon Upjohn nicht persönlich gesehen, aber eine große Summe an den Rechtsanwalt gezahlt. Nicht viele andere hätten soviel für ihn getan, erklärte Martha, und Judith gab das zu.
Martha sagte ihm das, während sie ihr schönes, bleiches Gesicht gegen das Kissen lehnte. An dem Morgen, an dem Roger sich entschlossen hatte, Gideon zu verteidigen, fühlte sie sich so schwach, daß sie nicht mehr aufstehen konnte, und auch während des Prozesses blieb ihr Zustand unverändert. Roger machte sich Sorgen, denn gewöhnlich war Martha gesund wie ein junges Fohlen. Aber nun lag sie in ihrem Zimmer auf dem Diwan und atmete den süßen Duft der Rosen ein, die in ihrem Arm lagen. Wie sie sagte, linderte er ihre Schmerzen. Und sie hauchte mit kaum hörbarer Stimme, daß dieser Zusammenbruch ja nicht erstaunlich sei – nach allem, was sie hätte durchmachen müssen.
Als keine Besserung in ihrem Befinden eintrat, ließ Roger Ärzte aus Neuorleans kommen. Sie sagten, es wäre ein sonderbar langwieriger Fall von nervösen Zuständen, und empfahlen, sie zur Ader zu lassen.
An dem Tage, an dem dies geschehen
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